Rekruten aus den Kolonien

Unsere Opfer zählen nicht

Bei allem Interesse für die Ereignisse des Zweiten Weltkriegs, bei aller wissenschaftlichen Aufarbeitung, die Rolle der so genannten Dritten Welt hat bisher überraschend wenig Beachtung gefunden, dabei spielten vor allem Asien und Afrika eine ganz wesentliche Rolle.

Als der Zweite Weltkrieg begann, war Großbritannien die größte Kolonialmacht und verfügte über ein Imperium, das ein Viertel der Erde sowie ein Viertel der Weltbevölkerung umfasste und sich von Jamaika und Lateinamerika über Ostafrika und Indien bis nach Südostasien und in den Zentralpazifik erstreckte. Die französischen Kolonien in der Karibik, Nord- und Westafrika, Indochina, Melanesien und Polynesien waren zusammengenommen 20mal größer als Frankreich und hatten mehr als hundert Millionen Einwohner. Mit Libyen, Eritrea und Somaliland herrschte auch die faschistische Regierung Italiens über ein Kolonialgebiet, das um ein Vielfaches größer war als das eigene Land, und die Kolonie Niederländisch-Indien bzw. Indonesien hatte die Größe Westeuropas.

Deutschland hatte seine Kolonien nach dem Ersten Weltkrieg abtreten müssen, doch ihre Rückeroberung gehörte zu den Kriegszielen des NS-Regimes. Für die Alliierten waren die Kolonien unverzichtbar. Sie lieferten kriegswichtige Rohstoffe zu Spottpreisen und sie stellten Millionen Soldaten für die Streitkräfte, und weitere Millionen an Arbeitern und Arbeiterinnen, oft Zwangsarbeiter.

Afrikaner als Kanonenfutter

Wie alle Kolonialmächte hatten auch die Briten bereits im 19. Jahrhundert Einheimische in Indien, Nordamerika und Afrika rekrutiert, und schon Anfang des 20. Jahrhunderts verfügten sie in verschiedenen Teilen Afrikas über koloniale Armeen.

Nach dem Fall Frankreichs und dem Kriegseintritt Italiens im Jahr 1940 kamen afrikanische Soldaten unter britischem Kommando an allen Fronten zum Einsatz: gegen die Italiener in Britisch-Somaliland und Äthiopien, gegen den deutschen General Rommel in Nordafrika, in Madagaskar gegen das Vichy-Regime und nach dem Kriegseintritt Japans auch in Fernost, in den Dschungeln von Burma.

"Sie haben uns Afrikaner als Kanonenfutter nach Burma geschickt", sagt Banta Tunkara, der im Krieg mehrfach ausgezeichnet wurde. "Aber wir haben gekämpft, und wir haben überlebt. Wir waren an den Busch gewöhnt, an Regen und Schlamm. Wir waren besser ausgebildet und erfahrener im Dschungelkampf als die Japaner. Ich glaube, wir haben viele Leute überrascht und beeindruckt."

Bekannte und weniger bekannte Kriegsschauplätze

Neuseeländische Maoris kämpften in Italien, Melanesier und Polynesier dienten auf französischen Schiffen, Einwohner Papua-Neuguineas unterstützten Amerikaner und Australier. Auf den Philippinen erhoben sich Guerillas gegen die Japaner; arabische oder indische Freiwillige kämpften aber auch für Nazideutschland, nicht zuletzt in der Hoffnung, die britischen Kolonialherren abzuschütteln.

Die vielfältigen Perspektiven dieses Buchs machen die Dimension des Welt-Kriegs bewusst. Mit vielen Kriegsteilnehmern haben die Autoren Interviews geführt, ihre Berichte illustrieren die Kapitel über bekannte und weniger bekannte Kriegsschauplätze.

Nährboden für die Unabhängigkeitsbewegungen

Hoch spannend wird das Buch aber auch durch die Darstellung der weit reichenden Folgen der Kriegsereignisse für den Nahen Osten, für Indonesien oder Indochina. Und nicht zuletzt für die französischen und englischen Kolonien.

Mit Entsetzen stellten die von der Front zurückkommenden afrikanischen Soldaten fest, dass sie, zu Hause angekommen, erneut den Status des Kolonialisierten einnehmen mussten und sich jedem Weißen zu unterwerfen hatten. Diese bittere Erfahrung lieferte den Nährboden für die Unabhängigkeitsbewegungen.

Das schreibt der Kameruner Historiker Kum'a Ndumbe III. im Vorwort zu "Unsere Opfer zählen nicht". Mit gnadenloser Härte gingen die Kolonialmächte nach Kriegsende gegen die - vor kurzem noch - Gefährten vor. Französische Soldaten erschossen Senegalesen, die ihre Entlassungsprämien verlangten. Am 8. Mai 1945, dem Tag des Kriegsendes in Europa, tötete die französische Armee in Algerien Tausende, nach manchen Quellen bis zu 45.000 ehemalige Soldaten und Zivilisten, die General de Gaulle an sein Versprechen erinnern wollten, dem Land mit Kriegsende die Freiheit zu geben.

Afrikanische Veteranen bekommen nur einen Bruchteil der Rente ihrer französischen Waffenbrüder, obwohl sie inzwischen einige Musterprozesse um Gleichbehandlung gewonnen haben. In Asien kämpfen ehemalige Zwangsprostituierte der japanischen Armee bis heute um Entschuldigung und Anerkennung.

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Buch-Tipp
Rheinisches JournalistInnenbüro / Recherche International e. V. (Hg.), "Unsere Opfer zählen nicht. Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg", Assoziation A, ISBN 3935936265