Inszenierte Klangsituationen

Nüchterne Titel

Der Komponist Gerard Grisey widmete sich dem "Großen Orchester“. Historisches Pathos schwingt stets mit und nicht wenige Komponisten scheiterten genau an dieser Gefährlichkeit. Eine Neueinspielung liegt vor. Ebenso von George Crumbs "Makrokosmos".

Komponisten, die in unserer Zeit für "Großes Orchester" schrieben, wurden immer wieder vor große stilistische Herausforderungen gestellt. Entweder sie fügten sich in die Charakteristika der geschichtlichen Vorgaben oder auch: sie rieben sich auf im Kampf gegen ebendiese.

Gerard Grisey, "Les Espaces Acoustiques“

"Les Espaces Acoustiques“ - Akustische Räume, das ist der etwas nüchtern klingende Titel für einen wahrlich großen und schillernden Werkzyklus von Gerard Grisey, der in einem fast zwanzigminütigen Werk für Großes Orchester seinen Höhepunkt findet und der als Gesamtzyklus nun in einer herrlichen Aufnahmenserie auf einer Doppel-CD bei Kairos erschienen ist.

In Goethes "Iphigenie auf Tauris" steht der Originalsatz, aber darum geht es ja hier nicht, es geht um das Orchester. Aber doch nochmal zurück: In Goethes Drama antwortet König Thoas auf die Enthüllung von Iphigenie, sie sei aus einem als mordlüstern geltenden Geschlecht, sie spreche nun ein großes Wort gelassen aus. Mordlüstern, das wäre in diesem Fall der Klangkörper Orchester

Gerard Grisey begann in den frühen 70er Jahren einen Zyklus, der von einem Solostück für Bratsche ausging, um sich als Zyklus über schlussendlich sechs Teile zu entwickeln, von denen der jeweils folgende in immer größerer Besetzung erstrahlt. Das Orchester lässt die Farben glühen, es lässt den Zuhörer fast verdürsten nach mehr, es zerstäubt sich in mikroskopische Kleinigkeiten und kippt gleich darauf in irrlichternde Ausbrüche.

George Crumb, "Makrokosmos"

Schon wieder so ein nüchterner Titel: Makrokosmos. Aber eigentlich sollte dieser Klavierzyklus - einer der großen des 20. Jahrhunderts - Anlass für Diskussionen über das Phänomen Kitsch als Phänomen Kunst sein. Aber da wären nun wahrscheinlich alle Crumb-Fans böse. Der Komponist George Crumb gewann 1968 den Pulitzer-Preis für Musik, da war er noch nicht einmal 40 Jahre alt. Und es beflügelte ihn. Er schrieb eine Reihe seiner wichtigsten Werke gleich

1972 begann Crumb dann mit dem "Makrokosmos“ für Klavier solo: Mythologisches, Religion, Sternkreiszeichen, Christliches, Japanische Befehle zu Pearl Harbor, amerikanischer Transzendentalismus, Nostradamus. George Crumb schöpft in der Hippie oder Post-Hippie-Ära aus dem Vollen der Möglichkeiten. Titelzitat: Die Pastorale - Klammer auf - aus dem Königreich von Atlantis. Zirka 10.000 vor Christus - Klammer zu -; da kann man schwerlich was hinzufügen und schon gar nichts dagegenhalten. George Crumb nutzte damals all seine Sensibilität und auch sein Wissen über die Klaviertechniken, die in den Jahren zuvor erobert worden waren.

Die Pianistin Maragret Leng Tan hat nun diesen ganzen Zyklus - "Makrokosmos I & II“ - auf CD eingespielt. Und wer beim letzten Wien Modern Festival die Gestik, Intensität und Theatralik der Pianistin Margaret Leng Tan mit Cage-Musik erlebt hat, erahnt nun vielleicht, wie genial die Paarung der Crumb-Musik mit dieser Interpretin ist: Was sich Liszt immer gewüscht hätte, entlockt Leng Tan nun Crumb. Komische Gleichung, aber sie führt notwendiger maßen zurück zum Beginn, zum Phänomen Kitsch als Phänomen Kunst.

Die Interpretation von Maragret Leng Tan ist makellos intensiv, hier liegt nicht das Paradox. Die kompositorische Absicht von George Crumb: Die birgt Sprengstoff in dieser Hinsicht. Wo beginnt das klangliche Verdoppeln - also Kitsch Produzieren - und wo ist es trotzdem noch höchst innovativer Umgang mit dem vorgegebenen Instrument? Ist das Säuseln des Windes, das "wirklich“ säuselt wie Wind, obwohl es solistisch am Klavier gespielt wird, näher an "Die Moldau“ oder "Rheingold Vorspiel“?

Heimische Festivalleckerbissen

Ein ganz besonderes Stück, oder eigentlich kein Stück, eher eine inszenierte Klangsituation, ist "radio fractal / beat Music" von Wolfgang Mitterer. Es klingt, als wäre man wo live dabei, als wäre man in einem fremden Raum, wo man vielleicht gar nicht durch die Tür hineingegangen wäre, hätte da nicht erstens doch etwas verlockend rausgeleuchtet und zweitens dieser Freund gemeint, das sei schon notwendig, da auch mal drin gewesen zu sein. Und plötzlich, um in der Metapher zu bleiben, ist man mittendrin, hört fremde Stimmen, lauscht eigenartigen Momenten der Ruhe, doch es brodelt und kocht auch wieder auf, im Nebenzimmer beginnen manche zu tanzen, das ganze Stück ist eine Art Mikrokosmos als Makrokosmos. Vielleicht ist das sogar eine halbwegs korrekte Übertragung des Wortes Fraktal in die Musik.

Naked Lunch mit Thomas Woschitz treten am selben Abend noch auf, tags darauf dann Richard Devine und die immer noch legendären Pan Sonic sowie Jamie Lidell. Und dann noch das Line-Up vom Samstag, 7. Mai 2005 in Korneuburg beim Donaufestival: Chris Clark, Ventian Snares, Amon Tobin und Christian Vogel, das ist eine Konstellation, die in den tieferen Schichten des Pop-Bewusstseins graben will, um besonders obskure und doch hin und wieder tanzbare Klangobjekte auszugraben.

Das Trio Radian spielt übermorgen auch in Korneuburg, aber Radian verknüpfen dieses mit einem zweiten entscheidenden Festival, dem Ulrichsberger Kaleidophon, im Rahmen dessen sie auch auftreten. Von Donnerstag, 5. Mai bis Samstag, 7. Mai 2005, also ebenfalls kommendes Wochenende, trifft sich im nördlichen Mühlviertel, in Oberösterreich nahe der Grenez zu Deutschland und Tschechien, wieder einmal eine ausgesucht fein Improvisationskonstellation.

Wem also der Art-Pop in Korneuburg zu wenig an die klangliche beziehungsweise existentielle Essenz geht, der muss nach Ulrichsberg in Oberösterreich. Phil Wachsmann spielt im Trio, Keith Tippett und Paul Rogers treten ebenfalls mit einem Trio auf, und am selben Abend noch das Quartett des absolut famosen Schlagzeugers Gerry Hemmingway. Aus der Besetzungsliste der darauffolgenden beiden Tage: Mal d’Archive, Andrew Cyrillem Fieldwork. Ernesto Molinari, Daniel Studer, Elisabeth Hornik, Marylin Crispell. Manche gleich in mehreren verschiedenen Konstellationen.

Und dann noch Samstag, 7. Mai 2005, abends: Alexander von Schlippenbach, Klavier solo. Und als ob es noch eines weiteren Impulses bräuchte, um deswegen nach Ulrichsberg zu fahren: In diesem Monat ziert Schlippenbachs Name das Cover des trendigen Londoner Wire-Musikmagazins, allerdings als Alex von Schlippenbach.

Hör-Tipp
"Zeit-Ton", Mittwoch, 4. Mai 2005, 23:05 Uhr

CD-Tipps
George Crumb, "Makrokosmos I & II", Margaret Leng Tan, Klavier, mode records 142

Gerard Grisey, Les Espaces Acoustiques, kairos OO12422KAI

Wolfgang Mitterer, Radio Fractal / Beat Music, hatOLOGY 2-606

stump-linshalm, "born to be off-road", einklang records 015/016

Veranstaltungs-Tipps
Ulrichsberger Kaleidophon, Donnerstag, 5. Mai bis Samstag, 7. Mai 2005

Donaufestival Korneuburg, Mittwoch, 4. Mai bis Sonntag, 8. Mai 2005

Links
mode records - George Crumb
Europe Jazz Network - Ulrichsberger Kaleidophon
Donaufestival
einklang records