Ein Projekt des "Colors Magazine"
1000 Signs
Sie schreien "Halt!" oder "Vorsicht!" und warnen vor möglichen Gefahren. "Achtung" ist ihr wesentliches Signal. Doch die Welt ist groß und voller Unterschiede und deshalb muss ein Warnschild in Kambodscha nicht unbedingt das Gleiche bedeuten wie in Mistelbach.
8. April 2017, 21:58
Über drei Jahre sind Fotografen für das "Colors Magazine" durch die Welt gezogen, um öffentliche Hinweisschilder abzulichten. Die Besten davon sind im knapp 500 Seiten starken Bildband "1000 Signs" zusammengestellt. Was dabei herausgekommen ist, ist ethnologisch und sozio-kulturell höchst interessant: Was ist wo verboten und wie wird das vermittelt?
Schildkröten, schaut links und rechts!
Stell dir vor, du bist eine Schildkröte in Südlitauen und freust dich schon das ganze Jahr über auf die Paarungszeit. Deine Spezies kehrt seit 50.000 Jahren immer wieder an dieselbe Brutstätte zurück, die Reise dorthin hat also Tradition. In diesem Jahr jedoch stößt du auf ein unerwartetes Hindernis - eine neue Autobahn. Was tun?
Ein Hinweisschild könnte hier keinesfalls schaden. Die Statistik belegt, dass Tiere besonderen Schutz genießen sollten, durchqueren doch unsere Straßen rücksichtslos ihren natürlichen Lebensraum. Der Begleittext im Kapitel "Tiere" empfiehlt daher den paarungsbereiten litauischen Schildkröten dringend, sich auf die neue Situation einzustellen.
Die grünen Leguane in Venezuela haben die von ihnen ohnehin nicht verhinderbaren Autobahnen längst in ihre Paarungsriten integriert. Wenn dort rivalisierende Männchen um ein Weibchen kämpfen, muss der Verlierer die Straße überqueren und auf der anderen Seite - so er es dorthin schafft - ein neues Leben aufbauen. Der abschließende Tipp lautet also:
Mit den Autobahnen werdet ihr euch abfinden müssen. Wenn ihr als Spezies überleben wollt, müsst ihr lernen, nach links und rechts zu schauen, bevor ihr die Straße überquert.
Warnung vor Ufos und Rindern
Anhand der Warnschilder für Tiere lassen sich am einfachsten die Unterschiede der kulturellen wie geografischen Gegebenheiten feststellen. Ein grellgelbes Verkehrszeichen irgendwo im Niemandsland der Vereinigten Staaten vereint da auf seiner quadratischen Fläche der Einfachheit halber die Warnung vor Ufos und Rindern. In Australien warnt man vor attackierenden Vögeln, in Singapur vor beißenden Schildkröten und in einem Urzeit-Park in Hongkong davor, dass ein brüllender Tyrannosaurus Rex eventuell mitgebrachte Kinder verschrecken könnte.
Die Begleittexte beschreiben nicht nur das ohnehin Sichtbare, sonder schweifen ab und ergänzen. Dabei verstehen es die Autoren, wie schon bei dem herausragenden Vorgänger-Werk "1000 extraordinary objects" knallharte, oft schockierende Fakten mit Skurrilem im denkbar trockensten Stil zu verknüpfen.
Französische Männchen sind elegant
An den alten Römerstraßen gaben Meilensteine die Entfernung nach Rom an. An diesem Prinzip änderte sich bis zum 20. Jahrhundert nichts: Wegweiser beschränkten sich darauf, Richtung und Streckenlänge anzuzeigen. Dann wurden die Autos aber schneller und Warnschilder wurden unverzichtbar. Die Fahrer brauchten möglichst schnell verständliche Informationen über eventuelle Gefahren. Und schon bald waren die Straßen der Welt mit runden, drei-, vier- und achteckigen Schildern übersät.
Wesentlich war die internationale Verständlichkeit, die durch einfache und eindeutige Symbole gewährleistet wurde. Allein die Ästhetik der Schilder verrät einiges über die Kulturen, denen sie entstammen. Französische Männchen auf Fußgänger-Ampeln sehen zum Beispiel sehr elegant aus und tragen eine Aktentasche, Deutsche hingegen gehen gebückt, wirken gnomhaft und tragen einen Hut. Viele Schilder, vor allem solche, die tatsächlich auf Lebensgefahr hinweisen, erheitern durch ihren unprofessionellen Grafikstil - auch eine Methode, Aufmerksamkeit zu erregen.
Manche Schilder geben Rätsel auf
Das Männchen mit der Schaufel und dem Erdhaufen, die warnend entgegen gestreckte Hand, durchgestrichene Hupen, Hunde, Fotoapparate, Handys oder Zigaretten... Viele Motive sind tatsächlich überall auf unserem Planeten nahezu gleich und unmissverständlich, manche Schilder geben allerdings Rätsel auf und andere hat man zumindest hier zu Lande noch nie gesehen. Oder sind Ihnen schon einmal Verbotsschilder für Fischgräten, Panzer, Wolken, Nasenbohrer oder Brillen untergekommen?
Kaum etwas beschreibt den Alltag einer Gesellschaft besser, als die Dinge vor denen man sich fürchten muss oder die verboten sind. Das haben die Autoren des umfassenden Bildbandes "1000 signs" erkannt. Als Führer für Weltreisende, die schon einmal wissen wollen, was da auf sie zukommt, ist er ebenso empfehlenswert, wie für jene, die zu Hause bleiben und sich wundern, was da draußen in der weiten Welt alles nicht erlaubt ist.
Buch-Tipp
Kontext: "1000 Signs", Ein Projekt des "Colors Magazine", Texte in Englisch, Deutsch und Französisch, Taschen Verlag, ISBN 3822831352
