Ein Pathologe auf der Suche nach der Schöpferkraft

Relativ makaber

Albert Einstein wurde bereits zu Lebzeiten vergöttert, er wollte wenigstens als Leichnam seine Ruhe haben. Daher wurde er nach seinem Tode verbrannt und seine Asche an einem unbekannten Ort verstreut. So hatte er es in seinem Testament verfügt.

"Ich möchte verbrannt werden, damit die Menschen nicht kommen, um meine Gebeine zu verehren". Doch Albert Einstein hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Der trat in Gestalt des Pathologen Thomas Harvey auf, eines neurologischen Gralsritters auf der Suche nach dem Sitz genialer Schöpferkraft im menschlichen Denkorgan. Im Hospital von Princeton nimmt Harvey die Autopsie an dem weltberühmten Physiker vor. Eine einmalige Chance.

1230 Gramm schwer

Thomas Harvey setzt das Skalpell an und entfernt dem toten Albert Einstein ohne Genehmigung das Gehirn. Wie Hamlet hält er das berühmte Gehirn in Händen: Es ist 1230 Gramm schwer, das liegt am unteren Ende des Normalgewichtsbereiches, offenbar eine Enttäuschung für den selbsternannten Hirnvermessungskünstler. Vielleicht verbirgt sich das Geheimnis im Inneren des Ganglienknäuels?

Fein säuberlich schneidet Thomas Harvey einen Teil des berühmten Gehirns in kleine Würfel, den anderen tranchiert er in dünne Scheiben. Getränkt in einer Alkohollösung, verschickt er das eingeweckte Gewebe an verschiedene "Gehirnspezialisten". Diese sollen dem Organ, das die Relativitätstheorie entwarf, sein Betriebsgeheimnis entlocken.

Der Schlüssel des Geheimnis ist nicht in der Biologie zu finden

Wissenschaftliches Fazit der Leichenfledderei: Der Umfang des unteren Scheitellappens scheint etwas größer zu sein; die Anzahl der Gliazellen ist tatsächlich etwas erhöht, wie übrigens bei jedem vierten Klempner auch; irgendeine Furche zeigt eine außergewöhnliche Form. Die Ausbeute der makabren Tat, wen wundert's, ist mager, dafür verliert Thomas Harvey seine Stelle als Pathologe am Princetoner Hospital.

"Das Gehirn hat zwar Ungeheures geleistet - aber nur im Wechselspiel mit anderen Gehirnen. Außerhalb der Welt, in der es gelebt hat, bleibt davon nichts. Der Schlüssel zu seinem Geheimnis ist nicht in der Biologie zu finden. Er liegt - in seiner Biografie." So kommentiert der deutsche Autor Jürgen Neffe, Verfasser der aktuellsten Einstein-Biografie, die Tat des amerikanischen Pathologen Thomas Harvey.

Immer noch aktuell

Die Tat des Thomas Harvey zeugt von der alten Sehnsucht, den Geist als Abbild im Fleisch wieder zu finden. Ein Traum, den auch so mancher Genetiker im 20. Jahrhundert nicht aufgeben möchte. Wer weiß, vielleicht liefert eine DNA-Analyse des Einstein-Gehirns dereinst einen genetischen Fingerabdruck geistiger Omnipotenz?

Vorerst bestaunt die Nachwelt 240 Hirnwürfel, als formalingetränkte Fetische menschlicher Superintelligenz. - Einstein hätte sich doch besser begraben lassen sollen.

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