Die Nachkommen der Holocaust-Betroffenen

Things. Places. Years

Was bedeutet der Holocaust für die Nachkommen von Betroffenen? Fragen wie diese haben die österreichischen Filmemacherinnen Simone Bader und Jo Schmeiser in ihrer Dokumentation gestellt und von zwölf Frauen, die in London eine neue Heimat fanden, kommentieren lassen.

Die Erfahrung des Holocaust und das Gedenken ist für viele Überlebende zu einem fixen Bestandteil ihrer Existenz geworden, so auch z. B. für die gebürtige Wienerin Lisbeth Perks, die während der NS-Zeit mit einem Kindertransport nach Holland kam, von dort aus gemeinsam mit ihrer Mutter vor dem Nazi-Terror nach London fliehen konnte. Perks ist eine jener zwölf Frauen in London, die die beiden österreichischen Filmemacherinnen Simone Bader und Jo Schmeiser, die unter dem Label "Klub Zwei" in der Öffentlichkeit auftreten, in ihrem Film "Things. Places. Years" zu den Erfahrungen nach der unfreiwilligen Emigration befragt haben.

Eine wichtige Motivation, diese Dokumentation zu drehen, war, so Simone Bader, dass in Österreich "durch diesen Regierungswechsel wieder ein Rechtsruck vollzogen wurde, und auch wieder antisemitische Aussagen zu hören waren."

Die Zeit danach

Der Blick auf die Vergangenheit und sein Bezug zur Gegenwart diente den beiden Filmemacherinnen als Ausgangshypothese, und so erzählen die befragten Frauen weniger - wie man es aus einschlägigen Dokumentationen gewohnt ist - über ihre Erlebnisse während der Nazi-Zeit, sondern vielmehr über die Zeit danach, eine Zeit der Auseinandersetzung und persönlichen Aufarbeitung.

Der Fokus des Films ist auf die Nachwirkungen von Emigration und Holocaust auf zweite, dritte Generation gerichtet. "Wir wollten uns anschauen, wie diese Geschichte bis ins Heute hinein wirkt", so Jo Schmeiser, "bzw.: Was bedeutet das für die andere Seite, die keinen jüdischen Hintergrund hat, die vielleicht sogar einen TäterInnen- oder MitläuferInnen-Hintergrund hat."

Eine Art "Nicht-Verlust"

"The Presence of The Absence" nennt sich eines der Filmkapitel, das nicht zuletzt eine der Erfahrungen der nachkommenden zweiten oder dritten Generation verdeutlicht. Ruth Rosenfelder beispielsweise, in Polen geboren und mit ihren Eltern über Frankreich nach England geflüchtet, hat den Verlust eines Teils ihrer Familie während der NS-Zeit in ganz konkreten Alltagssituationen zu spüren bekommen. Als sie ein Arzt nach der Krankengeschichte ihrer Familie befragte, konnte sie keine Auskunft geben, sie betrauert quasi eine Art "Nicht-Verlust", hat sie doch ihre Vorfahren nie kennen gelernt.

Zum Innehalten und Reflektieren

Jo Schmeiser und Simone Bader verzichten zur Gänze auf historisches Archivmaterial, stattdessen fügen sie zwischen die Interviewpassagen lange Kamerafahrten über Straßen oder starre Bilder von Wiesen und Gewässern. Diese Bilder dienen dem Zuseher dem Innehalten und Reflektieren, doch sie haben andererseits auch eine inhaltliche Bedeutung für die interviewten Frauen, wie Simone Bader erzählt: "Die Frage nach Orten, die ihnen wichtig sind, gleich auch die Frage nach Orten, wo sie sich zugehörig fühlen."

Zumindest eine Zugehörigkeit war bei der schwierigen Suche nach Identität in einer neuen Heimat entscheidend: jene zum Judentum, z.B. für Ruth Sands. Die Geschichte des 20. Jahrhunderts erst habe ihr ihre eigene jüdische Herkunft bewusst gemacht, erzählt sie.

Things. Places. Years
Dokumentation, Österreich 2004
Regie: Klub Zwei

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