Friedrich Achleitner, Architekturkritiker und Schriftsteller

Sprache als Baumaterial

Er durchschreitet Österreich, um es architektonisch zu vermessen. Sein Opus Magnum, ein "Führer zur Österreichischen Architektur im 20. Jahrhundert", erscheint seit 1980 in Einzelbänden. Friedrich Achleitner durchmisst dieses Land auch sprachlich.

Als Mitglied der legendären "Wiener Gruppe" schrieb der 1930 nahe Braunau geborene Friedrich Achleitner Dialektgedichte, Montagetexte und verfasst konkrete Poesie. Sprache ist für ihn bis heute ein optisches und akustisches Material. Zumindest ersteres verbindet sich mit seiner anderen Leidenschaft, der Architektur. Achleitner war viele Jahre lang Architekturkritiker, unter anderem bei der Tageszeitung "Die Presse".

Renata Schmidtkunz: Friedrich Achleitner, Ihre Lebensbeschäftigung ist die Architektur. Das Wort, ein ursprünglich griechisches Wort, heißt "arché" (der Anfang, der Ursprung)und "techné" (die Kunst, das Handwerk). Also wenn man so will, ist die Architektur das erste Handwerk, oder auch die grundlegende Kunst des Menschen. Und dann gibt es für mich noch eine zweite Verbindung, und zwar lautet der erste Satz des Johannes-Evangeliums: "Ein arché en ho logos - Am Anfang war das Wort". Und das Wort spielt ja in Ihren Arbeiten, in Ihrem Leben eine ganz wesentliche Rolle.
Friedrich Achleitner: Also ich muss sagen, ich hab immer in meiner Arbeit Architektur und Literatur ganz hart getrennt. Für mich gab es keine unmittelbare Beziehung. Es gibt natürlich Analogien, Sprache und Architektur und so weiter. Solche Begriffe wie Architektur sind ja eigentlich nur Hinweise auf etwas. Und beim Handwerk, da sind eigentlich das Flechten und das Töpfern und das Weben ältere Handwerke als das Bauen. Das Bauen ist etwas, was erst nach der Bekleidung kommt.

Also das heißt, dass Sie diese Definition, die ja durchaus einen gewissen Machtanspruch in sich birgt, Architektur sei das erste Handwerk, die erste Kunst, erst mal ablehnen würden?
Naja, nicht ablehnen, denn das ist ein historischer Begriff. Aber der Architekturbegriff hat sich total verändert. Im 20. Jahrhundert gibt es zwar noch Strömungen, Tendenzen, aber es gibt nicht mehr diese Regelhaftigkeit, es gibt nicht mehr diese Kanons wie in der Klassik oder in den klassizistischen Perioden. Es gibt unglaubliche technologische Revolutionen. Es gibt unglaublich viele Veränderungen oder Erneuerungen im Materialbereich. Es gibt auch im Sehen, also in der Wahrnehmung Veränderung. Insofern kann man mit den klassischen Begriffen der Architektur, ich möcht fast sagen, nur mit großen Vorbehalten etwas anfangen.

Was wäre denn dann Ihrer Meinung nach eine adäquate Bezeichnung?
Die gibt es nicht. Ich bin der Meinung, dass die Sprache zwar eine eigene Wirklichkeit produzieren, aber die Wirklichkeit nicht erreichen kann. Es ist zum Beispiel nicht möglich, mit Sprache Architektur zu beschreiben. Ich mach's ein Leben lang. Ich weiß. Aber es geht nicht. Da muss ein Konsens sein. Erstens einmal zwischen dem, der etwas sagt, und dem, der das wahrnimmt. Und wenn die ungefähr den gleichen Kenntnisstand haben - ich möchte nicht sagen "Wissen" - dann gibt es eine sprachliche Kommunikation. Der Loos hat etwas Unmögliches verlangt. Er hat gesagt: Eine Architektur, die ausformuliert ist, kann man auch durch's Telefon bestellen. Bei den Griechen wäre das noch möglich gewesen, bis zu einem gewissen Grad. Wenn man das Vokabular, die Bezeichnungen, die handwerklichen Bedingungen und das alles kennt, dann kann man jemandem, der das Gleiche weiß und das Gleiche kann, dem kann man sagen Das-und-das-und-das, und der macht das dann. Diesen Konsens mit dem Handwerk, den hat's ja noch bis in die 20er, 30er Jahre gegeben. Aber der ist jetzt völlig verschwunden. Vielleicht ist es möglich, mit Produktlisten einen gewissen definitorischen Rahmen zu schaffen, aber in Wirklichkeit geht's nicht.