Leiser Widerstand

Sodbrennen, weisse Bescheid!

Schaut man nicht rechtzeitig darauf, dass man ausreichend Milch zuhause hat, muss man eben schnell noch einkaufen gehen. Dass hernach vielleicht die Speiseröhre ein leises Feuer entfacht, liegt nur am Genuss. Nicht an einem selbst.

"Schaust eh schlecht aus!", poltert der lustige Mann in der Kassenschlange des Supermarkts vor mir. Er meint wohl die etwas füllige Dame an der Kasse. Mich kann er ja hoffentlich nicht meinen. Würde mir ein Fremder nun schon sarkastische Kommentare zu meiner Figur machen, müsste ich ihm ein Kilo Babyerdäpfel über seinen hohlen Schädel ziehen.

Während ich mich innerlich schon zum Angriff formiere, greift die Kassiererin das Kompliment auf: "Hättest mich vor zehn Jahren sehen sollen! 192 Kilo hab' ich g'habt!". Dem Mann, der sich anscheinend für sein Abendessen zwei Dosen Sardinen (die scharfen), ein Liter Essiggurkerl im Glas und zwei Liter Cola gönnt, friert verdattert das Gesicht ein. Ich schwöre mir still, nie Kassiererin zu werden. Solche Gesichtsausdrücke möchte niemand ernten.

"Na servas! Wieso? Hast kann Mann mehr wollen?" 192 Kilo sprengen tatsächlich seine Vorstellungskraft. Es kann nur als böswilliger Akt gegen die Männerwelt gemeint gewesen sein. Ich frage mich, ob heute Abend Fußball im Fernsehen ist und ob er Cola und Essiggurkerl auf einen Satz aufisst bzw. -trinkt. Und ob es bald weiter geht. In meiner Armbeuge stapelt sich mein Mini-Einkauf. Es rutscht alles.

"Es war die Schilddrüs'n", erklärt die Kassa-Frau und meint zusätzlich, dass sie ihren Mann ohnehin schon 25 Jahre am Hals hätte und er ihn gerne haben könne. Es muss also ein Prachtexemplar sein, wenn man ihn sogar anderen anbieten kann.

Es entflammt eine leidenschaftliche Debatte über Essen und den Genuss. Zugeständnisse werden gemacht und Trost gespendet. Man könne eben nichts machen, wenn man gerne isst, gesteht der Essiggurken-Mann zu, die Kassiererin versucht ein weiteres Mal zu erklären, dass es ein medizinisches Problem gewesen sei. Doch mein Genussspecht vor mir hört gar nicht mehr zu. Er hält einen Monolog über seine Leidenschaft. Er isst ja auch so gerne. Er könne sich das gar nicht vorstellen, abnehmen zu müssen. Er hält eine Ode an die dünne Fettleibigkeit um halb sieben am Abend im Zielpunkt in Wien 3. Bravo!

Hier wird Politik gemacht. Ich bete, dass er sich nicht umdreht und mich auch noch einbezieht. Ich richte schon den Erdäpfelsackgriff in meiner rechten Hand. Notfalls könnte ich eben nie wieder in diesen Supermarkt einkaufen gehen. Was soll's. Ich wohne ohnehin 20 Bezirke weiter. Eine Stimme in mir ruft "Kassa! Bitte! Eine andere!", da holt der vermeintliche Frauenversteher vor mir zum allerletzten Schlag aus: "I bin ja selba a Genießa!" Wahrscheinlich macht er sich zuhause immer einen unwiderstehlichen Aufstrich aus Sardinen, so einen richtig scharfen. Horst Schlämmer würde sagen: "Weisse Bescheid!"

Augenblicklich starren mich beide an, es muss wohl daran liegen, dass ich laut aufgelacht habe. Ich tue so, als hätte ich an etwas Lustiges gedacht und packe meinen Einkauf peinlich berührt aufs Förderband.

Zuhause trinke ich einen Kaffee zuviel und bekomme Sodbrennen. Es brennt, als hätte ich Cola, Gurkerl und Dosenfisch gegessen.

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Weisse Bescheid - Horst Schlämmer