Ein Briefwechsel

Ein Brieffreund namens Einstein

Die Quantentheorie war der Zankapfel zwischen den beiden Freunden. Fast 40 Jahre lang schrieben sich Albert Einstein und der deutsche Physiker Max Born Briefe. Ihr Briefwechsel ist Zeugnis der Veränderungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Der Gedankenaustausch zwischen Albert Einstein und dem deutschen Physiker Max Born ist ein beredtes Zeugnis jener großen wissenschaftlichen und politischen Umwälzungen, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts stattfanden: Relativitäts- und Quantentheorie erschütterten das Fundament der klassischen Physik, die beiden Weltkriege und der Nationalsozialismus die politische Ordnung der Welt. Lebenslanger Zankapfel der beiden Freunde war die interdeterministische Quantenmechanik, die Einstein als unvollständig ablehnte und Born entscheidend mitprägte. Nur selten war einer der beiden Physiker bei diesem Thema zu Konzessionen bereit.

Lieber Born,
Du glaubst an den würfelnden Gott und ich an die volle Gesetzlichkeit in einer Welt von etwas objectiv Seiendem, das ich auf wild spekulativem Weg zu erhaschen suche. Der große Erfolg der Quantentheorie kann mich doch nicht zum Glauben an das fundamentale Würfelspiel bringen, wenn ich auch wohl weiß, daß die jüngeren Kollegen dies als Folge der Verkalkung auslegen. Einmal wird sich ja herausstellen, welche instinktive Haltung die richtige gewesen ist.
Mit herzlichen Grüßen an Dich und die Deinen,
Dein Albert Einstein


1926 gelingt Max Born jene Arbeit vor, die ihn später weltberühmt macht: die statistische Deutung der Schrödinger-Gleichung bzw. Interpretation der modernen Quantenmechanik. Nach Born darf man sich Schrödingers Wellenfunktion nicht als realistische Welle vorstellen, sondern als Wahrscheinlichkeitswelle. Ihr Quadratbetrag gibt die Wahrscheinlichkeit an, ein mikroskopisches Teilchen - beispielsweise ein Elektron - an einer bestimmten Stelle zu finden. Einstein, der vom Kausalitätsprinzip nicht abrücken will, stößt sich an dieser indeterministischen Physik - ein Leben lang.

4. Dezember 1926
Lieber Born!
Die Quantenmechanik ist sehr achtung-gebietend. Aber eine innere Stimme sagt mir, daß das doch nicht der wahre Jakob ist. Die Theorie liefert viel, aber dem Geheimnis des Alten bringt sie uns kaum näher. Jedenfalls bin ich überzeugt, daß "der" nicht würfelt.
Von Eurem Albert Einstein


1931 befindet sich Einstein auf seiner zweiten Amerikareise. Einstein wird von dieser Reise nicht mehr nach Hitler-Deutschland zurückkehren. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 wird Max Born, wegen seiner jüdischen Herkunft und pazifistischen Einstellung zwangsbeurlaubt. So sieht es Hitlers Berufsbeamtengesetz vor.

Oxford, 30. Mai 1933
Lieber Born!
Ich freue mich, daß Ihr Eure Stellen niedergelegt habt ( Du und Franck). Es bedeutet gottlob für Euch beide kein Risiko. Es blutet mir aber das Herz, wenn ich an die Jungen denke. (...) Ich habe gehört, man denkt daran, in Palästina (Jerusalem) ein gutes physikalisches Institut zu errichten. (...) Ich glaube, Du weißt, daß ich nie besonders günstig über die Deutschen dachte (in moralischer und politischer Hinsicht). Ich muß aber gestehen, daß sie mich doch einigermaßen überrascht haben durch den Grad ihrer Brutalität und - Feigheit.
Dein Einstein

Ich bin in Deutschland zur bösen Bestie avanciert und man hat mir alles Geld genommen. Ich tröste mich aber damit, daß letzteres doch bald hin wäre.


Italien, Provinz Bolzano
Selva-Gardena, 2. Juni 1933
Lieber Einstein,
Hab herzlichen Dank für Deinen Brief. Ich wünschte, daß ich Dir helfen könnte, für die jungen, herausgeworfenen Physiker und andere zu sorgen, aber ich bin ja selbst in dieser Lage. So verbringe ich die Zeit mit dem Bemühen, meine etwas heruntergekommenen Nerven in Ordnung zu bringen (Schlafen ist noch ein Problem) und ein bißchen Physik zu machen. (...) Was nun meine Frau und Kinder betrifft, so ist ihnen das Bewußstein, Juden und "Nicht-Arier" zu sein (wie der schöne Fachausdruck lautet), erst seit den letzten Monaten entstanden, und ich selbst habe mich ja auch nie besonders als Jude gefühlt. Jetzt tue ich es natürlich sehr stark, nicht nur weill man mich und die Meinen dazu rechnet, sondern weil Unterdrückung und Ungerechtigkeit mich zu Zorn und Widerstand reizen. Ich möchte meine Kinder in einem westlichen Lande einbürgern, am liebsten England. Die Engländer scheinen ja auch in großzügigster und vornehmster Weise sich der Vertriebenen anzunehmen.
Dein Max Born


Max Born emigriert nach England und erhält 1934 eine Professur in Cambridge. Während Einstein am "Institute for Advanced Study" in Princeton eine feste, hochdotierte Forschungsstelle bekommt, ist Borns Anstellung in Cambridge zunächst ein Provisorium. Ab 1936 ist Max Born Dozent für theoretische Physik an der Universität in Edinburgh.

1939 eröffnet Hitler mit seinem Überfall auf Polen den 2.Weltrieg. Max Born erhält im gleichen Jahr die britische Staatsbürgerschaft. Albert Einstein nimmt ein Jahr später die amerikanische an. In Deutschland und Amerika beginnt das Wettrennen um den Bau der Atombombe. Weder Max Born noch Albert Einstein beteiligen sich daran. Im Gegensatz zu vielen anderen Kollegen auf beiden Seiten: Heisenberg in Deutschland; Oppenheimer oder von Neumann und viele andere in Amerika.

Gegen Ende des Krieges, als der Rüstungswettlauf auf dem Höhepunkt ist, taucht die Frage der moralischen Verantwortung des Wissenschaftlers auch im Briefwechsel auf.

Edinburgh, 17. April 1944
Lieber Einstein,
Die meisten deutschen Wissenschaftler kollaborieren mit den Nazis, sogar Heisenberg hat (wie ich aus zuverlässiger Quelle erfahren habe) mit allen Kräften für diese Schurken gearbeitet - es gibt nur wenige Ausnahmen, v. Laue und Hahn z.B.. Die britischen, amerikanischen und russischen Wissenschaftler sind alle mobilisiert, und zu Recht. Ich mache niemand einen Vorwurf. Denn unter den gegebenen Umständen kann man nichts anderes tun, um einen Rest unserer Zivilisation zu retten. Und doch meine ich, daß wir eine internationale Organisation haben müssten und, was noch wichtiger ist, einen internationalen Moralkodex (ähnlich den sehr strengen Regeln, denen die britischen Ärzte in ihrem Beruf unterworfen sind), der uns Wissenschaftler die Möglichkeit gibt, als regulierende und stabilisierende Kraft in der Welt zu wirken und nicht, wie jetzt, nichts als Werkzeuge der Industrien und Regierungen zu sein. (...) Wir Wissenschaftler sollten uns zusammenschließen, um bei der Bildung einer vernünftigen Weltordnung zu helfen. (...)
Dein Max Born


7. September 1944
Lieber Born,
Erinnerst Du Dich noch daran, daß wir vor etwas mehr als 25 Jahren zusammen in einem Tram nach dem Reichstagsgebäude fuhren, überzeugt, daß wir wirksam helfen können, aus den Kerlen dort ehrliche Demokraten zu machen? Wie naiv wir doch gewesen sind als Männer von 40 Jahren. Ich kann nur lachen, wenn ich daran denke. Wir empfanden beide nicht, wie viel mehr im Rückenmark sitzt als im Großhirn und wie viel fester es sitzt. Da dürfen wir uns nicht wundern, wenn die scientists keine Ausnahme bilden (in der großen Mehrzahl) und wenn sie anders sind, so ist es nicht auf die Verstandesfähigkeit, sondern auf das menschliche Format zurückzuführen, wie bei Laue.
Mit herzlichen Grüßen an Dich und Deinen,
Dein Albert

Hör-Tipp
Dimensionen, Dienstag, 11. Dezember 2007, 19:05 Uhr