Medienvielfalt = Meinungsvielfalt? - Teil 1

Viele Medien und wenige Besitzer

Nach der politischen Wende sahen westeuropäische Medienhäuser im Osten ihre große Chance: Ohne kartellrechtliche Beschränkungen oder gewerkschaftlichen Widerstand konnten sie Zeitschriften, Verlage und Lizenzen aufkaufen. Das hat fatale Auswirkungen.

Der Osten bringt westlichen Medienkonzernen viel: Nach der politischen Wende tat sich hier der Absatzmarkt auf, der zuhause schon gesättigt bzw. kartellrechtlich begrenzt war. Doch was hat Osteuropa davon? Lösen die dringend benötigten Kapitalgeber auch gleich das Problem journalistischer Standards und Unabhängigkeit, oder gefährden sie die Meinungsbildung durch Kommerz?

Für die Gewährleistung von Meinungsvielfalt ist die EU nicht zuständig. Lediglich Meinungsfreiheit ist im Artikel 11 verankert und, im Gegensatz zu Pressefreiheit oder Medienpluralismus, Bedingung für die Aufnahme neuer Kandidaten. 2007 startete die Kommission Studien zu Medienpluralismus, die 2008 diskutiert werden.

Historisch einmalige Bedingungen

Eine historisch einmalige Situation ergab sich für die Medienhäuser nach der politischen Wende. Westeuropäische Medienkonzerne schlossen Joint Ventures mit den bis dahin national wichtigsten KP-Medien.

Die Übernahme von Titeln und Lizenzen geschahen ohne öffentliche Diskussion, Transparenz und Kontrolle, denn: weder Mediengesetze noch Gewerkschaften waren da, um sich einzumischen. Besonders die deutschen Mediengruppen Bauer, Springer, Gruner & Jahr, Burda, WAZ und die Neue Presse sind hier mit Übernahmen oder Beteiligungen aktiv, Letztere erzielt gar 70 Prozent ihres Jahresumsatzes im Osten.

85 Prozent in ausländischem Besitz

Haben sich Titel-Konzepte in einem Land erfolgreich durchgesetzt, werden sie auch in andere Länder, manchmal unter gleichem Namen, importiert. So beim österreichischen Styria Verlag: Der 2005 gegründeten Boulevardzeitung "24 Sata" in Kroatien mit rund einer Million Lesern folgte 2007 das Gratisblatt "Zurnal 24" in Slowenien und erreichte schon nach einem Monat die größte nationale Auflagenstärke. Viele Regionalzeitungen gleichen sich mittlerweile, weil sie zentral produziert werden: inhaltliche Gleichschaltung trotz medialer Vielfalt.

In Polen, Tschechien und Ungarn sind rund 80 Prozent der Medien im Besitz westeuropäischer Medienhäuser. 85 Prozent der Medien in Osteuropa sind in ausländischen Händen, Dreiviertel davon in deutschen.

In Mazedonien und Bulgarien hat allein die WAZ Anteile von mehr als 70 Prozent am Verlagsgeschäft - zehnmal so viel wie in ihrer deutschen Heimat. Geplant ist auch der Einstieg ins Ost-Fernsehgeschäft, wie Andreas Rudas, Chef der WAZ-Ostholding, im Dezember bekanntgab.

Styria und Medienhaus Russ im Osten

Auch Österreicher beteiligen sich am Aufkauf des Ostens: Das Medienhaus von Eugen A. Russ, bekannt für seine Erfolge als rein profitorientierter "Kundenclub mit angeschlossener Zeitung" (so "Brand Eins"), gibt in Ungarn und Rumänien jeweils vier Regionalzeitungen heraus, die dem boulevardesken Mutterblatt "Vorarlberger Nachrichten" exakt gleichen. Es lässt in diesen Tochterunternehmen elektronische Bildbearbeitung für das Stammhaus in Vorarlberg durchführen und ist als Inhaber des Verlages Inform Média Kft. zweitgrößtes Medienunternehmen in Ungarn.

Erfolgreichster österreichischer Verlag im Osten ist aber die Styria Medien AG, mit insgesamt 28 Magazinen in Slowenien, Kroatien, Serbien und Montenegro. Sie ist unter anderem Eigentümer der größten kroatischen Tageszeitung "Vecernji List". Seit Dezember gibt es auch ein Abkommen mit dem kroatischen Wirtschaftsverlag Masmedia.

Meinungsbildung gefährdet

Ausländische Medienhäuser wollen mit ihren Medien nicht die Gesellschaft demokratisieren, sondern Geld verdienen. Ihre auf Verkauf ausgerichteten Boulevardmedien verdrängen auch die wenigen Qualitätsblätter, die es gab, kritisieren einheimische Journalisten.

Tiefgreifende gesellschaftliche Auswirkungen sehen die Autoren des 2007 erschienen Berichts "Europäische Medienpolitik und ihre Alternativen" (Rosa-Luxemburg-Stiftung): Die Invasion westeuropäischer Medien vermittle ein Gefühl von Überfremdung, mangelndem Selbstbewusstsein und Skepsis gegenüber Marktwirtschaft und Demokratie - das stärkt nicht gerade Eigeninitiativen aus der Bevölkerung.

Die Missstände des Medienkapitalismus im Osten werden sich aber auch auf den Westen negativ auswirken: "Ist die demokratische Sphäre von Öffentlichkeit aufgrund von Deregulierung, Kommerzialisierung und Privatisierung sowieso schon im Verfall, so verstärken die medialen Landnahmen Osteuropas genau diesen Verfallsprozess", so die Autoren.

Druck auf EU-Bestimmungen wächst

Die EU tut sich bei europaweiten Regelungen zur Medienkonzentration schwer. Man will nicht in lokal gewachsene Medienstrukturen eingreifen. Außerdem würde man dadurch die völlig unterschiedlichen nationalen Problemlagen ignorieren. Im letzten Jahr arbeitete die Kommission erstmals an gemeinsamen Kriterien zur Bestimmung von Medienpluralismus. 2008 sollen diese in Richtung einer möglichen gemeinsamen Praxis zumindest theoretisch diskutiert werden.

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