Robert Schumann in Wien

Das Rätsel um Schuberts C-Dur-Symphonie

Noch im Jahr der Publikation der jüngsten Ausgabe des Deutsch-Verzeichnisses galt die Annahme, die Uraufführung von Schuberts großer C-Dur-Symphonie sei durch Mendelssohn erfolgt, als gesichert. Nun wirft ein Dokument neues Licht darauf.

Viel härteren Prüfungen als Pamina und Tamino war die Liebe von Clara und Robert ausgesetzt - der Hass des Vaters, die peinlichen Szenen vor Gericht, bis sie endlich die Heiratserlaubnis erkämpft hatten.

All das aber auf einem Weg, der mit herrlicher Musik gepflastert war, er schrieb damals fast ausschließlich Klavierwerke, die heute noch jeder Pianist im Repertoire hat und sie machte inzwischen eine internationale Karriere als Virtuosin (wie ein "zweiter Liszt"), komponierte auch, stellte aber stets sein Genie in den Vordergrund, von dessen überzeitlicher Bedeutung sie von Anfang an überzeugt war.

Wiener Konzerterfolge Clara Wiecks

Nun, einige der wichtigsten Konzert Claras fanden in Wien statt, und sie konnte ihren Robert überreden (auch wegen ihrer Erfolge und weil man sie offensichtlich in der kaiserlichen Metropole - einschließlich von Mitgliedern des Herrscherhauses - so schätzte), seine Möglichkeiten, an der Donau als Musikschriftsteller Fuß zu fassen, selbst auszuloten. Wenn sie hierher zögen, hätte ihr Vater gegen eine Verbindung nichts einzuwenden, schrieb sie ihm aus Wien.

Folgenreicher Besuch

Schumann kam, blieb einige Monate, erkannte aber, dass Wien für ihn doch nicht die erhoffte neue Heimat sein könne. Nicht lange nach seiner Ankunft besuchte Schumann auch den Währinger Ortsfriedhof vor der Stadt, um auf Beethovens und Schuberts Grab Blumen niederzulegen.

War es mir nicht vergönnt, jene beiden Künstler im Leben begrüßen zu dürfen, die ich am höchsten verehre unter den neueren Künstlern, so hätte ich nach jenem Gräberbesuch so gern wenigstens jemanden zur Seite gehabt, der einem von ihnen näher gestanden, und am liebsten, dachte ich mir, einen ihrer Brüder. Es fiel mir ein auf dem Zuhausewege, dass ja Schuberts Bruder, Ferdinand, noch lebe, auf den er, wie ich wusste, große Stücke gehalten. Bald suchte ich ihn auf. Er kannte mich aus meiner Verehrung für seinen Bruder, wie ich sie oft öffentlich ausgesprochen, und erzählte und zeigte mir vieles. Zuletzt ließ er mich auch von den Schätzen sehen, die sich noch von Franz Schuberts Kompositionen in seinen Händen befinden. Der Reichtum, der hier aufgehäuft lag, machte mich freudeschauernd; wo zuerst hingreifen, wo aufhören! Unter andern wies er mir die Partituren mehrerer Symphonien, von denen viele noch gar nicht gehört worden sind, ja, oft vorgenommen, als zu schwierig und schwülstig zurückgelegt wurden. Wer weiß, wie lange auch die Symphonie, von der wir heute sprechen, verstaubt und im Dunkel liegen geblieben wäre, hätte ich mich nicht bald mit Ferdinand Schubert verständigt, sie nach Leipzig zu schicken an die Direktion der Gewandhauskonzerte.

Mendelssohn macht Symphoniker Schubert bekannt
Die bewusste Symphonie war die "große" in C-Dur, und es bedeutete für Schumann eine Erfüllung, sie zu hören. Von den Leipziger Proben im März 1839 berichtete er seiner geliebten Clara Wieck:

Clara, heute war ich selig. In der Probe wurde eine Symphonie von Franz Schubert gespielt. Wärst Du da gewesen. Die ist Dir nicht zu beschreiben; das sind Menschenstimmen, alle Instrumente, und geistreich über die Maßen, und diese Instrumentation trotz Beethoven - und diese Länge wie ein Roman in vier Bänden, länger als die neunte Symphonie. Ich war ganz glücklich und wünschte nichts, als Du wärest meine Frau und ich könnte auch solche Symphonien schreiben.

Der Leiter der Gewandhauskonzerte, der Schumann die sensationelle Bereicherung seines Repertoires verdankte, hieß Felix Mendelssohn-Bartholdy. Sein Dankschreiben an Ferdinand Schubert lässt ebenfalls Begeisterung spüren, wenn er formuliert:

Hochgeehrter Herr! Sie haben uns allen durch die Übersendung (der Symphonie) eine große Freude gemacht. Wenn Sie nur bei der Aufführung zugegen gewesen wären; ich glaube, Sie würden Vergnügen daran gehabt haben, wenigstens kann die Symphonie gewiss nirgends mit mehr Liebe gespielt werden, als es hier der Fall war.

Fehlurteil der Wiener Musikkritik
Endlich, über ein halbes Jahr nach der Leipziger Aufführung, erklang die "große" C-Dur-Symphonie erstmals auch im Wiener Musikverein, aber in entstellter Form, denn die letzten beiden Sätze ließ man aus. Die Qualität der Aufführung ließ offensichtlich nicht einmal eine Ahnung von der Genialität des Werkes aufkommen: "Man sagt, diese Symphonie sei eine Jugendarbeit … und von ihm selbst niemals zu einer öffentlichen Aufführung bestimmt gewesen. Diese hätte wohl auch jetzt füglich unterbleiben können, denn zur Verherrlichung seines Namens wird dieses Werk wohl schwerlich etwas beigetragen haben."

Das war nur eine von sechs Kritiken über diese Aufführung am 15. Dezember 1839, in denen auch berichtet wird, diese Musik sei damals zum ersten Mal in Wien zu hören gewesen.

Überraschender Fund
Noch im Jahr der Publikation der jüngsten Ausgabe des Deutsch-Verzeichnisses galt die Annahme, die Uraufführung sei durch Mendelssohn erfolgt, als gesichert, aber inzwischen wirft ein von Otto Biba, dem Leiter des Musikvereinsarchiv aufgefundenes Dokument, ein neues Licht darauf.

Das Werk dürfte schon 1829 in Wien in einem Concert Spirituel aufgeführt worden sein, im landständischen Saal in der Herrengasse. Allerdings von der Öffentlichkeit völlig unbeachtet - jedenfalls ist keine Kritik darüber bekannt und im Programm findet sich nur die Angabe "Symphonie von Franz Schubert" - ohne Tonart.

Neues Dokument sorgt für Spekulationen
Dort wurde wohl recht professionell musiziert. In Schubert Freundeskreis hat man - zu seinen Lebzeiten - Mozart- und Beethoven Aufführungen unter anderem in diesen Konzerten im landständischen Saal besucht und eifrig diskutiert, was sich durch Tagebücher, Erinnerungen und Briefe belegen lässt. Doch diese, wohl erste Wiener Aufführung der großen C-Dur Symphony hinterlässt keinerlei solche Spuren. Zumindest sind sie noch nicht gefunden worden. Aber wie man sieht ist ein neuer Fund, der scheinbar gesicherte Fakten der Wiener Musikgeschichte in neues Licht rückt, immer wieder möglich.

Dennoch bleiben die Verdienste Schumanns und Mendelssohn ungeschmälert. Ins internationale Musikleben hineingeboren wurde dieses Meisterwerk Schuberts erst - durch den Fund des einen und die meisterhafte und viel beachtete Aufführung des
Anderen.

Hör-Tipp
Musikgalerie, Montag, 28. Jänner 2008, 10:05 Uhr