Die Argumente der Befürworter und Gegner

Norwegen bleibt EU-skeptisch

Norwegen ist eines der reichsten Länder der Welt und geografisch eindeutig Teil Europas. Doch Mitglied der Europäischen Union will man auf keinen Fall werden. In zwei Volksabstimmungen wurde ein Beitritt abgelehnt. Eine Standortbestimmung.

Zwei Mal schon haben die Norweger und Norwegerinnen gegen einen EU-Beitritt gestimmt. Trotzdem ist Norwegen über den Europäischen Wirtschaftsraum voll in die europäische Wirtschaft integriert und sogar in einige Programme eingebunden, an denen nicht einmal alle EU-Staaten teilnehmen, etwa den Schengen-Vertrag. In einer aktuellen Umfrage spricht sich trotzdem eine satte Mehrheit von fast 60 Prozent gegen einen Beitritt aus. Mit den großen Öl- und Gasvorräten, versichern alle, habe das aber nichts zu tun.

Fast wie in der EU

Die Ankunft am Flughafen Gardemoen in Oslo unterscheidet sich nicht von der in anderen europäischen Städten: Es gibt keine Passkontrollen, da Norwegen Mitglied des Schengen-Raums ist. Und dass man nicht mit Euro, sondern mit Kronen zahlt, wäre auch für ein EU-Land nichts Ungewöhnliches: Auch Dänemark, Schweden und Großbritannien haben den Euro nicht eingeführt. Was fehlt, sind die Fahnen der Europäischen Union. Und: Nicht-Skandinavier müssen Zoll zahlen, wenn sie bestimmte Güter einführen.

Bürger der Union wollen die Norweger auf keinen Fall werden, erklärt Heming Olaussen von der Organisation "Nein zur EU". Der Hauptgrund sei, so Olaussen, dass die Norweger über ihr Schicksal selbst entscheiden wollten: "Wir sind eine jungen Nation, die Dänen und Schweden sind wir erst im Jahr 1905 losgeworden, also vor gerade 100 Jahren, und dann waren wir von Nazi-Deutschland besetzt. Daher haben wir ein sehr starkes Bedürfnis nach Unabhängigkeit und Selbstbestimmung."

EU-Gegner haben eine starke Basis
Zweimal haben die Norweger über einen Beitritt zur Union abgestimmt, einmal in den 1960ern und dann 1994, als auch die Nachbarn Schweden und Finnland der EU beigetreten sind. Die Organisation "Nein zur Eu" hat damals die Kampagne gegen den Beitritt organisiert. Sie ist bis heute mit fast 29.000 Mitgliedern eine der größten politischen Organisationen des Landes. Die EU bedrohe die Landwirtschaft und Fischerei, und damit die Existenzgrundlage der Menschen an der hunderte Kilometer langen Küste nach Norden, sagt Olaussen. Die EU werde außerdem von den Wünschen der internationalen Konzerne bestimmt und das bedrohe das nordische Modell des Wohlfahrtsstaates.

Die Bewegung "Nein zur Eu" hat ihre Wurzel in der Gewerkschaftsbewegung und steht politisch links der Mitte. Dass man sich durch den Nicht-Beitritt auch die Mitgliedsbeiträge nach Brüssel erspart ist für Olaussen kein Argument. Er verweist in dem Zusammenhang etwa auf die weltweit höchsten UNO-Beiträge pro Kopf und an Zahlungen an Palästinenser, Bulgarien und Rumänien, letztere im Rahmen des Europäischen Wirtschaftsraums.

Befürworter betonen Mitsprachemöglichkeiten
Wirtschaftlich mache es für Norwegen tatsächlich keinen Unterschied, ob es der EU beitritt oder nicht, gibt Rebekka Borsch von der norwegischen Europäischen Bewegung zu, die für einen Beitritt des Landes wirbt. Da Norwegen Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraumes EWR sei, habe es vollen Zugang zu den EU-Märkten und ist faktisch Mitglied. Ausgenommen seien im Wesentlichen nur die Agrarpolitik und die Mitbestimmung in EU-Gremien.

Es sei ein Paradox, sagt Borsch, die Nein-Seite lege so großen Wert auf demokratische Mitbestimmung, de facto müsse Norwegen aber alle Regeln aus Brüssel übernehmen, ohne eine Möglichkeit sie zu beeinflussen. Es gebe zwar prinzipiell die Möglichkeit, einzelne Direktive abzulehnen, das sei aber noch nie passiert. Wenn Norwegen beitreten würde, hätte es zwar nur einige wenige Abgeordnete im EU-Parlament, könnte aber gemeinsam mit den anderen nordischen Staaten einen Block bilden und so Einfluss auf die Entscheidungen nehmen. Auch ein anderes Argument weist Borsch zurück, nämlich dass die Mitgliedschaft in der EU zu teuer sei. Bereits jetzt zahlt Norwegen durch den EWR in verschiedene Strukturfonds zum Aufbau in Osteuropa ein, bei einem Beitritt müsste man nicht wesentlich mehr bezahlen.

Die Quelle des Reichtums

Norwegen ist wie gesagt, eines der reichsten Länder der Welt. Und dass es auf der UNO-Liste der Länder mit der weltweit höchsten Lebensqualität vor kurzem von Island überholt wurde und nur mehr auf Platz zwei liegt, macht den Norwegern etwas zu schaffen. Der Grund für den Reichtum sind Öl- und Gasfelder in der Nordsee.

Im staatlichen Pensionsfonds, der von den Öleinnahmen gespeist wird, hat jeder einzelne Norweger umgerechnet ein Guthaben von fast 60.000 Euro. Budgetdefizite sind unbekannt, der norwegische Haushalt verzeichnet einen Überschuss von fast 20 Prozent.

Wirtschaft sei bei den EU-Überlegungen aber kein Thema, sagt der Staatssekretär im Finanzministerium Roger Schjerva. Das wichtigste Argument, so Schjerva, sei die Freiheit gewesen, die Norwegen durch einen EU-Beitritt verlieren würde. Schjerva gehört zur sozialistischen Linkspartei, die ein strikter Gegner eines EU-Beitrittes ist. Sie ist einer der kleineren Koalitionspartner in der von der Arbeiterpartei geführten Regierung: Die Arbeiterpartei ist grundsätzlich für einen Beitritt, in der politischen Diskussion sei das aber kein Thema sagt die EU-Befürworterin Rebekka Borsch.

Druck von Außen
Eine Änderung der Position in der EU-Frage könne nur von außen kommen: Etwa wenn der nordische Nachbar Island sich entscheiden sollte, der Union beizutreten, oder wenn Russland Druck ausüben würde, um die ungeklärte Grenze im arktischen Meer zu seinen Gunsten zu verschieben, Gebiete, in denen große Erdgasvorkommen vermutet werden. Und eines ist Rebekka Borsch klar: Früher oder später wird Norwegen der EU beitreten, auch wenn es derzeit eher nach später als nach früher aussieht.

Ganz anders sieht das der EU-Gegner Heming Olaussen. Die Ablehnung der EU sei keine norwegische Besonderheit. Er verweist auf die Ablehnung der EU-Verfassung durch die Niederlande und Frankreich. Auch Staatssekretär Schjerva hat seine Zweifel, ob er jemals Bürger der EU sein wird. Obwohl oder gerade weil Norwegen ein durch und durch europäisches Land sei: "Es gibt keine wirtschaftlichen Gründe, warum wir der EU beitreten sollten. Es ist eine Abwägungsfrage: Wie sehr wollen wir das höchste Maß an Freiheit, unsere eigenen Entscheidungen zu treffen? Und wie sehr brauchen wir größeren Einfluss auf die Entscheidungsfindung in der EU? Das ist eine ganz pragmatische Frage. Eilig haben wir es dabei auf jeden Fall nicht."

Hör-Tipp
Europa Journal, Freitag, 29. Februar 2008, 18:20 Uhr

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Links
Europakommisjonen
The European Movement in Norway
Nei til EU