Neues Leben auf Zeit
Arsenal, Objekt 210
Nur drei Straßenbahnstationen von der Wiener Ringstraße entfernt, befindet sich das ehemalige Arsenal. Hier werden Bühnenbilder gefertigt, Waffen und Panzer ausgestellt, Kleingärten gepflegt, und hier wird vor allem geforscht und Kunst gemacht.
8. April 2017, 21:58
Um 1850 wurde das Arsenal als militärischer Gebäudekomplex errichtet - noch heute befindet sich hier eine Kaserne des Bundesheeres. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurden Wohnungen für Bundesbedienstete eingerichtet, später die Fernmeldezentrale der Telekom angesiedelt, Werkstätten und Probebühne der Bundestheater und vor allem zahlreiche Forschungsinstitutionen und Laboreinrichtungen. Darunter sind das Wirtschaftsforschungsinstitut, die Chemische Versuchsanstalt, die Desinfektionsanstalt, das Holzforschungsinstitut und die Elektrotechnische Versuchsanstalt.
Das Objekt am Rande
Während das Zwanziger Haus und das Heeresgeschichtliche Museum, beide in der zentrumsnächsten Ecke des Arsenals gelegen, den Wienern und Wienerinnen noch am ehesten bekannt sind, wird das sich dahinter erstreckende Gebäudeensemble weitgehend ignoriert: ein peripheres Niemandsland auf der mentalen Landkarte der Stadtbewohner. Dabei gibt es einiges zu entdecken: etwa das Objekt 210.
In unmittelbarer Nähe zur Südosttangente gelegen, war hier bis vor wenigen Jahren die Bundesversuchsanstalt für Wärme-, Kälte- und Strömungstechnik untergebracht. Von den späten 1950er Jahren bis 2002 wurde hier österreichische Technikgeschichte mitgestaltet. Hier wurden Hochgeschwindigkeitszüge wie TGV oder ICE getestet, die Pariser Metro und die Transsibirische Eisenbahn. Aber auch Gemüsekühlcontainer, Helikopter, Motorräder und Schirennläufer.
Nachdem das Gebäude einige Jahre leer stand, wird es heute von Architekten, Designern, Künstlern und Musikern genützt. Geforscht wird weiterhin - jedoch eher auf künstlerischer Ebene, mit Raumexperimenten, Materialversuchen und kulturellen Veranstaltungen. Anfang Mai etwa veranstaltet das forum experimentelle architektur, eine Initiative für Architekturtrends, gemeinsam mit der Ateliergemeinschaft ein mehrtägiges Symposium über das Arsenal, den Bahnhof und das Objekt 210.
Heterogene Nutzung
Zu den Mietern gehört auch die Künstlerin Johanna Kandl. Sie schätzt das Arsenal als einen der wenigen Freiräume der Stadt: "Freiflächen bedeuten ja auch, dass sich Dinge entwickeln können, die billig sind und laut, wo etwas passiert. Das geht in den meisten europäischen Städten nicht. Interessant ist: die letzten Flächen, die das zulassen, sind die militärischen. Wie Christiania in Kopenhagen, das ist ja auch eine militärische Fläche. Und hier im Arsenal stehen gleich dort drüben die Panzer - das finde ich ja auch ganz nett, dass die hier herumstehen."
Die Armee von Dutzenden schweren Militärfahrzeugen, die auf dem Arsenalgelände geparkt sind, ist nicht der einzige ungewöhnliche Anblick, den ein Spaziergang durch das Arsenal bereit hält. Es gibt hier einen 155 Meter hohen Funkturm, der bei Dunkelheit grün beleuchtet ist, hier sind betuliche Schrebergartensiedlungen und Schutzhäuser. Es gibt Hallenkonstruktionen riesiger Dimensionen und eine Rohziegelkirche, ein Zwanziger Haus genanntes, verwitterndes architektonisches Meisterwerk und im Nichts endende Bahngleise.
Bis vor kurzem gehörte das gesamte Areal der BIG, der Bundesimmobiliengesellschaft. Zur Zukunft der heterogenen Nutzungspalette sagt deren Geschäftsführer, Christoph Stadlhuber: "Das sind alles Strukturen, die in einer innerstädtischen Struktur mit U-Bahn-Anbindung ja nichts verloren haben. Darum arbeiten wir gemeinsam mit der Stadt an Entwicklungskonzepten, die man parallel mit dem Bau der U-Bahn umsetzen kann. Eines steht aber bereits fest: es wird sicher ein Gebiet für einen hochwertigen Wohnbau."
Die Bundesimmobiliengesellschaft veräußerte 2003 einen Großteil der Liegenschaften an Investoren. In ihrem Besitz geblieben ist nur die vom Zentrum gesehen äußerste Gegend, jenseits des historischen Gebäude-Ensembles. Dort befindet sich die Schweißtechnische Zentralanstalt, ein Fernheizkraftwerk, eine leerstehende Panzerhalle, die unter Denkmalschutz steht. 2017 soll hier eine U-Bahn-Station der verlängerten U2 herkommen. Solange macht man das beste daraus, sagt Christoph Stadlhuber: "Für jedes Stadtentwicklungsgebiet ist es wesentlich, dass es eine Identität bekommt - auch schon lange bevor geplant und gebaut wird. da ist jegliche Nutzung und jeglicher Nicht-Leerstand eine ganz willkommene Gelegenheit, vor allem wenn man noch dazu solche Nutzungen findet, die uns im Gesamtumfeld der Architekturpolitik der BIG auch was bringen."
Baustoff Luft
Dass sich im Objekt 210 Architekten und Designer, Künstler und Theatermacher, Informatiker und Musiker zu günstigen Konditionen einmieten konnten, ist zum Teil der Verdienst von Peter Michael Schultes. Schultes beschäftigt sich mit Membranen und mit textilen Strukturen, also vor allem mit aufblasbaren Architekturen: Luft ist sein Baustoff. "Ich bin jetzt nicht der, der die Berechnung der Systeme macht. Das interessiert mich nicht, das kann man, das macht dann eh der Computer. Mir geht es eigentlich um das Ausreizen eines Themas. Mich interessieren jetzt auch nicht Traglufthallen oder alles was es eh schon gibt - mich interessieren eben Dinge, die es noch nicht gibt.", sagt Peter Michael Schultes.
Glück auf Zeit
Dass es sich beim Objekt 210 um Glück auf Zeit handelt, wissen die derzeitigen Nutzer. Christoph Stadlhuber, Geschäftsführer der Bundesimmobiliengesellschaft, in deren Besitz das Gebäude ist, rechnet vor: "Im Normalfall beginnt man parallel mit der Planung für die U-Bahn auch mit der Planung für das Gelände. Mit Planungszeiten und Genehmigungszeiten sind wir - zurückgerechnet - bei einem verbleibenden Zeitraum von 6-7 Jahren. Und das ist dann nicht mehr weit weg von heute."
Ein Monat Kündigungsfrist sehen die Prekariatsverträge vor - und das klingt bedrohlicher, als es von den Mietern empfunden wird. Peter Michael Schultes: "Darauf habe ich mich eingestellt. Es ist zwar nicht angenehm daran zu denke, für mich ist es aber am wenigsten schwer, weil ich ja eh nach Frankreich will. Wir wollen das unten aufbauen, und erst wenn es wirklich herzeigbar ist, wird es losgehen. Ich hoffe, dass wir noch zwei Jahre hier bleiben können - wir werden sehen."
Hör-Tipp
Diagonal, Samstag, 12. April 2008, 17:05 Uhr
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Links
Arsenal Objekt 210
Wikipedia - Wiener Arsenal