Kulturelle Barrieren

Transkulturelle Psychiatrie

Die transkulturelle Psychiatrie beschäftigt sich mit den kulturellen Aspekten der Entstehung, Häufigkeit, Form und Therapie psychischer Störungen. Sie versucht die kulturellen Barrieren zu erkennen und in die Diagnose und Behandlung zu integrieren.

Schüttelt eine Frau aus China den Kopf - so meint sie "Ja!" Blickt ihnen ein Mann aus dem arabischen Kulturkreis nicht in die Augen, so hat er nichts zu verbergen - vielmehr gilt dies als Zeichen von Respekt.

Kommunikation mit Menschen aus anderen Kulturkreisen kann, auch abseits der Sprache, schwierig sein. Noch schwieriger wird es, wenn ein solcher Mensch, der vielleicht nach Österreich flüchten musste, hier wegen psychischer Beschwerden einen Arzt aufsuchen muss.

Gegrillte Leber

Mit einer bloßen Übersetzung des Gesprochenen ist es da nicht getan - oder wüssten Sie, was es bedeutet, wenn jemand aus der Türkei sagt: "Meine Leber ist gegrillt!" oder "Mein Kopf ist erkältet!"? Beide Formulierungen sind gängige Redewendungen aus dem Türkischen, die darauf hinweisen, dass der Betroffene durcheinander ist, Depressionen hat oder Angst, den Verstand zu verlieren.

Die transkulturelle Psychiatrie, die in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts begründet wurde, versucht, sprachliche und kulturelle Barrieren zu überwinden. Damit soll den erkrankten Menschen, die häufig auf ihrem Weg nach Europa traumatisierende Erfahrungen machen mussten, ärztliche Hilfe ermöglicht werden.

Ähnlich aber unterschiedlich

Gerade psychische Erkrankungen zeigen auf der ganzen Welt die gleichen Symptome. Aber es existieren in verschiedenen Kulturen zudem auch unterschiedliche Ausprägungen der jeweiligen psychischen Erkrankung.

So berichten Patienten weltweit bei Depressionen über Schlafstörungen und Antriebsarmut. Im Abendland gesellen sich dazu allerdings Selbstvorwürfe und Schuldgefühle, im Nahen Osten entwickeln die Betroffenen vor allem körperliche Symptome und in Asien kommt ein Gefühl der Entehrung zur depressiven Symptomatik.

Wer ist der Patient?

Flüchtlinge, die aus einem Kriegsgebiet in Österreich ankommen, sind fast immer schwer traumatisiert. Das beginnt mit der Verfolgung im Ursprungsland, führt über die oft schwierigen Fluchtwege bis hin zur nicht selten wenig freundlichen Aufnahme im Zielland. Das entspricht häufig einer Mehrfachtraumatisierung, die zu einer posttraumatischen Belastungsstörung führen kann.

Die transkulturelle Psychiatrie versucht auch hier, Hilfestellung anzubieten. Dabei wird nicht von den Gegebenheiten des Ziellandes ausgegangen. Vielmehr werden Sprache, Kultur und Herkunft des traumatisierten Menschen in den Mittelpunkt gestellt.

Nicht weiter traumatisieren

Menschen mit psychischen Erkrankungen sollten immer im Kontext ihrer Kultur gesehen werden. Das betrifft sowohl die Symptome, als auch die Art der Kommunikation. Sprache kann in vielen Fällen nicht einfach wortwörtlich übersetzt werden - vielmehr müssen dabei auch nonverbale Aspekte berücksichtigt werden.

Die Transkulturelle Psychiatrie kann wesentlich dazu beitragen, dass Flüchtlingen eine weitere Traumatisierung erspart bleiben kann.

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Hör-Tipp
Radiodoktor - Medizin und Gesundheit, Montag, 29. September 2008, 14:20 Uhr