Porträt des Bauern Franz Gsellmann
Weltmaschinenroman
In den 1970ern waren die Medien voll mit dem seltsamen steirischen Bauern Franz Gsellmann, der seine "Weltmaschine" gebaut hatte, eine riesengroße Maschine ohne jede Funktion. Klaus Ferentschik hat nun eine Biografie dieses Mannes verfasst.
8. April 2017, 21:58
"Die Botanik der Träume/ will gelernt sein,/ um aus ihr Nutzen/ zu ziehn für Utopie... ." Diese Verse stehen in einem Gedicht Karl Krolows aus dem Jahr 1969, das den Titel "Weltmaschine" trägt und auf den oststeirischen Bauer Franz Gsellmann gemünzt sein könnte.
Gsellmann hat die Botanik seiner Träume in die Technik übertragen, in eine Maschine, die sich selbst ad absurdum führt, hat der Nutzlosigkeit ein Denkmal errichtet und ist dafür gleichermaßen belächelt wie bewundert worden. In technischen Belangen ein Autodidakt, folgte er unbeirrt seinen Eingebungen. Ein begnadeter Sammler, gelang es ihm, aus allen Himmelsrichtungen immer neue Bestandteile für seine Weltmaschine herbei zu schaffen. Auf Schrottplätzen und Fetzenmärkten lebte er auf; Weggeworfenes inspirierte ihn. Fragte man ihn nach dem Sinn seines Tuns, so pflegte er stets lapidar zu erwidern, Gott habe ihm die Gabe gegeben.
Bewunderung für alles Technische
Gsellmann verkörperte eine merkwürdige Mischung aus tiefer Religiosität und ungebrochener Bewunderung für alles Technische. Lange Zeit hielt er seine beständig wachsende Maschine vor seinen Mitmenschen verborgen, betrieb Geheimniskrämerei und kapselte sich ab, sehr zum Missfallen seiner Familie. Nach und nach aber weihte er einzelne, auf deren Mithilfe er bei der Materialbeschaffung und bei Reparaturen angewiesen war, in sein Geheimnis ein, machte die Mithelfer zu Mitwissern, und so dauerte es nicht lange, bis das Gerücht von der monströsen Maschine, die da auf einem einschichtigen oststeirischen Bauernhof stand, immer weitere Kreise zog und immer mehr Schaulustige anlockte.
Gsellmann blieb mit seiner Erfindung nicht im Verborgenen, sondern wurde alsbald zu einer bekannten Figur. Bereits 1972 war in einer Grazer Tageszeitung ein ganzseitiges Porträt über ihn und sein Werk zu lesen, etliche weitere Artikel, Fernsehdokumentationen und sogar ein Spielfilm sollten noch zu seinen Lebzeiten folgen.
Gsellmann als literarische Figur
Klaus Ferentschiks "Weltmaschinenroman" nun ist keineswegs der erste Versuch, aus Gsellmann eine literarische Figur zu machen. Schon 1991 ließ Bernhard Hüttenegger den Protagonisten seines Romans "Die Tarnfarbe" zur Weltmaschine pilgern, und fünf Jahre zuvor bereits veröffentlichte der deutsche Autor Gert Hofmann eine kleine Erzählung mit dem Titel "Die Weltmaschine". Sie ist ein Echo auf Gsellmann, kein Abbild seiner Existenz, sondern ein Sinnbild für radikales Einzelgängertum, wie er es betrieb. Ihr Protagonist ist der Witwer Stief, der sich gewissermaßen als Ersatz für seine Frau aus vorgefundenen Teilen eine phantastische Maschine zusammenbastelt und darüber alles andere vergisst, seinen Hof vollkommen vernachlässigt und so zum ständigen Ärgernis der Dorfgemeinschaft wird. Bezeichnenderweise endet Hofmanns Weltmaschinenerzählung nicht mit einem Happy-End, sondern mit einer Gewalttat: Erzürnte Dorfbewohner stecken eines Nachts die Scheune, in der Stief mit seiner Maschine haust, in Brand. Die Weltmaschine lässt sich in die enge Welt des Dorfes nicht integrieren.
Vor der Folie dieser kleinen, parabolischen Erzählung des 1993 verstorbenen Gert Hofmann wirkt Klaus Ferentschiks wesentlich realistischere, ihrem Anspruch nach geradezu dokumentarische Version einigermaßen blass. Schon der Titel seines Buches verspricht mehr, als der Text halten kann. Was da auf 160 Seiten ausgebreitet wird, hat weniger den Charakter eines Romans als den eines Berichts und mutet streckenweise wie eine überdimensionierte Reportage an.
Inspiriert vom Atomium
Ferentschiks Erzählung beginnt mit dem Herbst 1958, als Gsellmann, damals 48 Jahre alt, zufällig in einem Lokalblatt eine Abbildung des Atomiums entdeckt, das auf der damaligen Brüsseler Weltausstellung zu sehen war, und daraufhin kurzerhand nach Brüssel reist, um es in Augenschein zu nehmen. Dieses Erlebnis wird für ihn zum Schlüsselerlebnis, es animiert ihn dazu, etwas Ähnliches zu versuchen und eine große Maschine, wie sie ihm kurz davor im Traum erschienen war, eine Art perpetuum mobile, zu errichten.
Von da an folgt eins aus dem andern, und Ferentschik zählt es auf, gibt wie ein biederer Chronist alles wieder, was sich bis zum Tod ihres Erbauers im Jahr 1981 rund um die Weltmaschine an Bemerkenswertem zugetragen hat. Er verzichtet darauf, die Geschichte in verschiedene Perspektiven aufzufächern, etwa jene von Gsellmanns ratloser und überforderter Ehefrau oder jene seiner verständnislosen Schwiegertochter.
Liebenswürdiger Sonderling
Erzählt wird sehr übersichtlich, nie aber aus der Innensicht einer der Figuren; der Erzähler befindet sich zwar über weite Strecken auf Augenhöhe mit dem Protagonisten, verzichtet aber darauf, mit dessen Augen zu sehen. Gsellmann bleibt daher über weiteste Strecken Objekt; er wird in seinem Tun und Lassen geschildert, aber nicht gestaltet. Für die anderen Figuren gilt dies in noch viel stärkerem Maß; es ist kein epischer Raum vorhanden, in dem sie sich frei entfalten könnten, sie bleiben in all ihren Handlungen und selbst in den Gesprächen, die sie miteinander führen, seltsam zweidimensional.
Nur an ganz wenigen Stellen gelingt dem Erzähler so etwas wie Einfühlung, wird der Charakter Gsellmanns plötzlich in seiner ganzen liebenswürdigen Absonderlichkeit greifbar und begreifbar, besonders an jener einen Stelle, an der von seiner Hoffnung die Rede ist, dass seine Maschine doch noch eines Tages aus eigener Kraft etwas produzieren werde, etwas Nützliches und vollkommen Neuartiges.
Vielleicht würde sie von ganz alleine etwas herstellen, ohne sein Zutun, so wie seine Hühner über Nacht Eier legten, die nur noch eingesammelt werden mussten. Jeden Morgen betrat er den Raum in der Hoffnung, vor der Maschine ein Produkt zu finden, das sie in seiner Abwesenheit ganz von alleine erzeugt hätte. Selbstverständlich spornte ihn die Tatsache, dass dem nie so war, noch mehr dazu an, sie unablässig und konsequent weiterzuentwickeln.
Loyales Porträt
Hier bekommt der Text nicht nur eine komische Dimension, die er sonst vermissen lässt, hier gelingt es seinem Autor auch in wenigen Sätzen, die ganze Unsicherheit dieses unkonventionellen Schöpfers im Umgang mit seinem Geschöpf zu vermitteln. Gsellmann war seiner Maschine ausgeliefert und dementsprechend stets auf Überraschungen gefasst.
Ferentschik heroisiert ihn nicht, macht sich aber auch niemals über ihn lustig. Er erweist sich als ein loyaler Porträtist, nie indiskret, oft jedoch oberflächlich. Jeder, der an Franz Gsellmann und seiner Geschichte interessiert ist, wird dieses Buch mit einigem Gewinn lesen können. Wer sich jedoch einen Roman erwartet, der die Möglichkeiten dieses faszinierenden und vielschichtigen Stoffes ausschöpft und souverän mit ihnen zu spielen versteht, wird enttäuscht sein.
Hör-Tipp
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr
Buch-Tipp
Klaus Ferentschik, "Weltmaschinenroman", Matthes & Seitz
Link
Matthes & Seitz - Weltmaschinenroman