Klaviervirtuose und Amateurmaler

Kultur darf nicht in die Klatschspalten

Seit 2007 leitet der Klaviervirtuose und Amateurmaler Rudolf Buchbinder, der gelegentlich auch dirigiert, das Musik-Festival Grafenegg. Seine Karriere begann er als "Wunderkind". In Interviews warnt Buchbinder vor der Sensationsgier im Kulturbetrieb.

Schon mit neun Jahren hatte das "Wunderkind" seinen ersten öffentlichen Auftritt am Klavier. Mit elf absolvierte er bereits die Meisterklasse: Rudolf Buchbinder zählt heute zu den gefragtesten Pianisten der Welt.

Geboren wurde Buchbinder am 1. Dezember 1946 im böhmischen Leitmeritz. Der hochbegabte Bub wuchs in Wien auf und wurde früh gefördert. Ab 1958 studierte er bei Bruno Seidlhofer, der auch Friedrich Gulda ausbildete. Mit dem "Wiener Trio" errang Buchbinder 1961 den ersten Preis beim internationalen ARD-Musikwettbewerb in München. Seine Laufbahn gestaltete er zunehmend als Solist. Heute kann der passionierte Sammler bei der Quellenforschung auf ein eigenes Archiv, etwa von Erstdrucken oder Originalausgaben, zurückgreifen. Seit 2007 leitet der Klaviervirtuose und Amateurmaler, der gelegentlich auch dirigiert, das neue Musik-Festival Grafenegg (NÖ).

Warnung vor Sensationsgier

Im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur hat Buchbinder zuletzt vor Sensationsgier im Kulturbetrieb gewarnt. "Die Gefahr liegt darin, dass Kultur weg vom Feuilleton immer mehr in die Klatschspalten gerät", so Buchbinder. Hinzu komme eine Kurzfristigkeit im Denken. "Man baut heute Karrieren nicht mehr vorausdenkend auf. Ein Herbert von Karajan hat in Ulm und Aachen begonnen. Dort lernte er das Proben und die Fehler eines Orchester zu hören." Wenn aber junge Dirigenten frisch von der Hochschule gleich zu den Wiener oder Berliner Philharmonikern kämen, sei eine solche Lernphase nicht mehr möglich: "Die Jungen sollten aufpassen, welche Positionen sie übernehmen", riet der Künstler.

Trotz Kritik sieht Buchbinder keinen Anlass zu Kulturpessimismus. "Der Konzertbetrieb ist nicht zu Ende. Ihn gibt es in dieser Form schon seit 200 Jahren. Warum sollten wir uns nun einreden, dass er schlecht ist?" Die Schallplattenindustrie leide derzeit zwar, Konzerte seien aber gut besucht. "Die Leute lechzen nach dem Live-Erlebnis, heute mehr als noch vor zehn oder 20 Jahren." Er habe auch nichts dagegen, wenn Kollegen in Stadien auftreten oder Mozart zur Vorlage für Popmusik wird. "Ich finde das großartig. Auch so bringt man Leute zur Klassik." Bach, Beethoven und Mozart könnten das vertragen. Zu deren Zeiten sei man wesentlich großzügiger gewesen, da hätten die Komponisten auch ungeniert voneinander gestohlen.

Auseinandersetzung mit Beethoven und Mozart

"Viele Komponisten haben ein falsches Image. Wenn man Beethoven als Titan bezeichnet, ist das absolut falsch. Er war einer der sensibelsten Menschen, das erkennt man auch an seinen Briefen und am Heiligenstädter Testament", erinnerte Buchbinder an ein bewegendes Dokument Beethovens von 1802. Auch Mozart sei nicht der "zarte" Künstler, sondern mit Werken wie "Don Giovanni" und dem "Requiem" der dramatischste Komponist der Geschichte. Es komme darauf an, sich mit dem Menschen auseinanderzusetzen, bevor man sein Werk spiele.

Buchbinder, der sich nach jedem Auftritt einen Whisky gönnt, sprach auch über Rituale im Alltag. "Der Nachmittagsschlaf vor einem Konzert gehört dazu. Ich kann mich entspannen, wo ich will. Ich setze mich ins Flugzeug und verschlafe schon den Start." Für ihn selbst werde das Klavierspielen im Alter immer leichter. "Meine Karriere war ein kontinuierliches kleines Crescendo. Mein Glück ist, dass ich nie eine Sensation war. Denn eine Sensation kann niemand wiederholen." Buchbinder saß schon im Alter von dreieinhalb Jahren am Klavier, mit fünf wurde er der bisher jüngste Student der Wiener Musikhochschule.

Buchbinder improvisiert Kadenzen

Der Pianist bedauerte, dass viele seiner jungen Kollegen heute die Kunst der Improvisation nicht mehr erlernen. "Ich improvisiere bei Mozart-Konzerten nach wie vor alle Kadenzen. Einmal spielte ich in Paris ein Konzert am Geburtstag meiner Frau - natürlich habe ich da 'Happy Birthday' eingebaut - das ging gar nicht anders."

Buchbinder sieht kein Problem darin, alle fünf Beethoven-Konzerte nacheinander auswendig zu spielen. "Das Hirn ist unbegrenzt belastbar. Allerdings stecken da täglich 24 Stunden Arbeit drin - mit dem Kopf, nicht mit der Hand."