Zwischen wissenschaftlicher Anerkennung und Kritik

Zu Lebzeiten eine Ikone, heute umstritten

Für die einen ist Konrad Lorenz Vater der Verhaltensforschung, für die anderen ist er als Forscher längst überholt. Er entdeckte im Familienleben der Graugänse zahlreiche Analogien zu dem der Menschen und erhielt dafür den Nobelpreis für Medizin.

Für die einen ist Konrad Lorenz Vater der Verhaltensforschung und so etwas wie der Darwin des 20. Jahrhunderts, für die anderen ist er als Forscher längst überholt und widerlegt, sowie ein entlarvter Parteigänger der Nationalsozialisten. Allerdings kam die Kritik am einstigen Aushängeschild Österreichs in Sachen Wissenschaft erst nach seinem Tod am 27. Februar vor 20 Jahren so richtig in Schwung.

Konrad Zacharias Lorenz wurde am 7. November 1903 als Sohn des bekannten orthopädischen Chirurgen Adolf Lorenz in Wien geboren. Schon in frühester Kindheit beschäftigte er sich am elterlichen Gut in Altenberg bei Greifenstein (NÖ) mit Tieren, die er aus den nahe gelegenen Donauauen nach Hause brachte. So schloss er einem Medizinstudium - das er auf Drängen des Vaters absolvierte - noch ein Studium der Zoologie an.

Gruppenspezifische Bewegungsweisen

Schon während des Studiums widmete er sich der Erforschung von tierischen Instinktbewegungen und entdeckte, dass bei sehr verschiedenen Tiergruppen Bewegungsweisen auftreten, die gruppenspezifisch und daher ebenso kennzeichnend sind wie etwa Merkmale des Körperbaus. Damit legte Lorenz aus heutiger Sicht die Grundlage für die vergleichende Verhaltensforschung.

Umstrittene Haltung zum Nationalsozialismus

Nach Assistenten- und Dozententätigkeiten an der Universität Wien wurde Lorenz 1940 als Professor für vergleichende Anatomie und Tierpsychologie an die Albertus-Universität Königsberg berufen. Seine Haltung zum Nationalsozialismus ist bis heute umstritten. Selbst Kritiker schließen aus, dass er an Verbrechen in Zusammenhang mit dem Nazi-Regime direkt beteiligt war.

Dokumentiert sind allerdings Aussagen des Forschers, welche dem Regime mit Sicherheit mehr als willkommen waren. So sprach er sich in einem Artikel 1940 für die "schärfere Ausmerzung ethisch Minderwertiger" aus.

Nobelpreis für Medizin

Nach seinem Militärdienst als Arzt und einer Kriegsgefangenschaft kehrte Lorenz 1948 zunächst an die eigens gegründete Station für vergleichende Verhaltensforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) nach Altenberg zurück. 1950 folgte er jedoch einem Ruf der deutschen Max-Planck-Gesellschaft. Das Max-Planck-Institut für Verhaltensphysiologie in Seewiesen leitete er von 1961 bis 1973 als Direktor.

1973 wurde Lorenz dann zum Leiter der Abteilung Tiersoziologie des Instituts für vergleichende Verhaltensforschung der ÖAW in Altenberg und Grünau im Almtal (OÖ) ernannt. In diesem Jahr erhielt der Biologe gemeinsam mit dem gebürtigen Österreicher Karl von Frisch und dem Niederländer Nikolaas Tinbergen den Nobelpreis für Medizin. Sie erhielten die Auszeichnung "in Anbetracht der Tragweite ethologischer Erkenntnisse auch für Psychiatrie und Psychosomatik".

Instinktbegriff, Kindchenschema und Schlüsselreiz

Konrad Lorenz war nicht nur Begründer der Verhaltensforschung, er war auch eine der schillernden Figuren der ersten Stunde der Umweltschutzbewegung, hat mit seiner Evolutionären Erkenntnistheorie Darwins Lehre um eine wesentliche Dimension erweitert und war ein steter Kämpfer gegen die Wertblindheit der modernen Zivilisation.

Wissenschaftliche Begriffe, die auch in den allgemeinen Wortschatz Eingang gefunden haben, verdeutlichen sein Werk: Instinktbegriff, Prägung, Kindchenschema, Auslöser, Schlüsselreiz und Leerlaufreaktion sind nur einige Beispiele.

Vergleichende Verhaltensforschung

Die von Lorenz begründete Schule der Ethologie - die vergleichende Verhaltensforschung - hat vor allem die Erkenntnis erbracht, dass nicht nur der Körperbau, sondern auch die Verhaltensprogramme der Lebewesen unter Evolutionsdruck entstanden und teilweise im genetischen Code verankert sind.

Fragestellungen und Methodik einer vergleichenden Forschung, wie sie seit Darwin in allen anderen biologischen Disziplinen selbstverständlich geworden waren, wurden von Lorenz auch systematisch auf das Verhalten von Tieren und des Menschen angewendet.

Konträr zu den Behavioristen

Lorenz stand damit im krassen Gegensatz zu den vor allem in den USA arbeitenden Behavioristen, die davon ausgingen, dass jedes Verhalten erlernt ist. Der Wissenschaftler machte dabei keinen prinzipiellen Unterschied zwischen Tier und Mensch. "Der Weg zum Verständnis des Menschen führt genau ebenso über das Verständnis des Tieres, wie ohne Zweifel der Weg zur Entstehung des Menschen über das Tier geführt hat", lautete sein Credo.

Evolutionäre Erkenntnistheorie

Gemeinsam mit dem harten Kern des sogenannten Altenberger Kreises - dem Wissenschaftstheoretiker Erhard Oeser sowie dem Meeresforscher und Theoretischen Biologen Rupert Riedl - und nicht zuletzt mit dem aus Österreich stammenden Philosophen Karl Popper erarbeitete und entwickelte Lorenz die Evolutionäre Erkenntnistheorie (EE). Sie beschäftigt sich vor allem mit der Wahrnehmung von Tieren und Menschen, auch der Apparat (zum Beispiel Sinnesorgane), mit dem ein Individuum die Welt erfährt, ist ein Ergebnis der Evolution.

"Wir nehmen die Welt so wahr, wie wir entstanden sind", lautet ein Kernsatz der Theorie. Kein Individuum fängt bei Null an, jedes bekommt von der Natur einen Apparat mit, mit dessen Hilfe es die Welt in einer für dieses Individuum nützlichen, weil stammesgeschichtlich bewährten Art erfährt. Der lose Zusammenschluss von Wissenschaftlern im Altenberger Kreis existierte bis zum Tode Lorenz'.

"Unwissenschaftliche" Studien

Lorenz' wissenschaftliches Werk blieb nicht unumstritten. So bezeichnen Kritiker die Arbeit des Pioniers der Verhaltensforschung als "unwissenschaftlich". Seine Studien hätten aus bloßem Beobachten bestanden, dabei seien ihm zahlreiche Fehler unterlaufen, die zu Missinterpretationen geführt hätten.

Dementsprechend werden auch die umfassenden Theorien des Nobelpreisträgers angezweifelt, etwa zur Aggression. Laut Lorenz steckt diese gleichsam in einem Organismus drin und ist Antriebsfeder für viele Verhaltensweisen. Auch dringe die Aggression unweigerlich von innen nach außen. Werde sie nicht ausgelebt, so würde sie sich ihren Weg suchen. Neuere Studien konnten dagegen zeigen, dass ausgelebte Aggression sogar noch aggressiver machen kann.

Qualität statt Quantität

Lorenz' Werk wird aber vielfach auch verteidigt. Er habe tatsächlich nach anderen Methoden gearbeitet als viele Verhaltensforscher heutzutage. Dabei habe er aber nicht weniger Sorgfalt an den Tag gelegt, es gebe eben nicht nur quantitative - etwa auf Zahlen und Statistiken beruhende -, sondern auch qualitative Genauigkeit, ist etwa Oeser überzeugt. Lorenz selbst hat Kritik und Kritikern wenig Zeit und Aufmerksamkeit geschenkt.

Hör-Tipp
Salzburger Nachtstudio, Mittwoch, 25. Februar 2009, 21:01 Uhr