Wandertour durchs nördliche Albanien

Durchs Land der Skipetaren

Alte Wege durch das Prokletije-Gebirge eröffnen einen Zugang zu einem der unbekannteren Winkel von Europa: Nordalbanien. Eine Wandertour führt durch das Thethi-Tal mit den imposanten Kullas und über alte Hirtenpfade ins Valbona-Tal.

Bei Ostromdscha beginnt dieses Land der Skipetaren, welche nur das eine Gesetz kennen, dass der Schwächere dem Stärkeren zu weichen hat. Wollten wir nicht den Kürzeren ziehen, so mussten wir dasselbe auch für uns in Anwendung bringen.

Wer hat es in seinen Jugendjahren nicht gelesen oder zumindest davon gehört? "Durchs Land der Skipetaren" ist die fünfte von insgesamt sechs Reiseerzählungen aus Karl Mays Orientzyklus und beschreibt die fiktiven Abenteuer eines gewissen Kara Ben Nemsi und seines Gefährten Hadschi Halef Omar im Land der Skipetaren - Söhne der Adler, wie sich die Albaner auch heute noch titulieren.

Abenteuer Albanien
Über 100 Jahre nachdem Karl May seine Erzählung niedergeschrieben, beginnt das Abenteuer Albanien in einer verrauchten, bis auf den letzten Platz besetzten und nicht gerade einladend wirkenden Kaschemme am südlichen Ende des Koman-Stausees. Er ist Teil einer ganzen Reihe von Stauseen, die Ende der 1970er Jahre mit chinesischer Hilfe errichtet wurden, und dient in dieser abgelegenen Bergregion auch als Verkehrsweg.

Durchs Thethi- und Valbona-Tal

Die Wanderung führt durchs Thethi- und Valbona-Tal, zwei entlegene Täler im Norden Albaniens, die im Winter über Wochen von der Umwelt abgeschnitten sind und deshalb ihren archaischen Charakter weitgehend beibehalten haben.

Architektonisch bestimmen sogenannte Kullas das Talbild. Das albanische Wort Kulla leitet sich vom türkischen Wort für Turm ab. Traditionelle Kullas ähneln mit ihren Schießscharten und den bis zu einen Meter dicken Steinwänden befestigten Wehrtürmen.

Bis vor wenigen Jahrzehnten galt in den nordalbanischen Bergen ein aus dem Mittelalter stammendes Gewohnheitsrecht, der Kanun. Grundlage des Kanuns ist das Leben in der Großfamilie, in welcher in der Regel drei Generationen unter der Führung des ältesten Mannes unter einem Dach wohnten. Streitigkeiten wurden auf Versammlungen der Familienoberhäupter eines Dorfes oder Stammes geregelt. Waren Altenrat und Blutrache noch im ausklingenden 20. Jahrhundert Realität in Nordalbanien, bekommen die Wanderer von heute ausschließlich die herzliche Gastfreundschaft der Albaner zu spüren.

Leben im Kommunismus
Unbeschreiblich hart ist das Leben bis zum Sturz des kommunistischen Regimes 1990 gewesen. Es war die Zeit, als alle Bewohner des Tales in Kooperativen zu einem sehr geringen Lohn arbeiten mussten. Damals gab es kein Privateigentum, außer einer einzigen Kuh pro Familie. Alles andere war kollektives Eigentum. Selbst Brot wurde streng rationiert.

Dafür gab es unter den Kommunisten zumindest eine gute Schule im Dorf und die medizinische Versorgung war gesichert. Das ist heute nicht mehr so. Die einzige Schule des Ortes ist bis auf einen einzigen instandgesetzten Klassenraum eine Kriegsruine. Der Lehrer kommt nur selten zum Unterricht, da die Schulbehörde mit seinem Gehalt Monate im Rückstand ist. Viele Junge sind deshalb nach Shokdra abgewandert, oder weiter weg, da die ökonomische Zukunft des Tales mehr als ungewiss ist.

Mit den Einnahmen aus dem langsam aufkeimenden Wandertourismus können manche Bewohner ihre Lebensgrundlage finanziell aufbessern. So hat zum Beispiel der Bauer Preke Harusha mit Unterstützung der GTZ, der deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit, einen ungenützten Trakt seines Wohnhauses als Übernachtungsmöglichkeit für Wanderer adaptieren konnte.

Auch heute benutzen Menschen und Tiere die seit Jahrhunderten ausgetretenen Hirtenpfade - in strengen Wintern oft die einzigen Verbindungen zur Außenwelt. Dennoch fehlen die sonst üblichen Wegmarkierungen und auch Schutzhütten werden Wanderer vergeblich suchen. Schon allein deshalb wird ihnen geraten, nicht ohne Begleitung eines Einheimischen und dem nötigen Proviant loszumarschieren.