Der verunsicherte Mann

Der einzige Mann auf dem Kontinent

Terézia Mora, die vor genau zehn Jahren den Ingeborg-Bachmann-Preis gewann, hat nach dem Erzählband "Seltsame Materie" und ihrem großen Erfolgsroman "Alle Tage" ein sehr aktuelles Buch über einen Mann geschrieben, dessen Welt sich drastisch verändert.

Er ist ein korpulenter Mann, 106 Kilo bei 178 cm Körpergröße, zum Glück ist das meiste davon Knochen, der Rest konzentriert sich in der kompakten Halbkugel eines Bauches, fest und glatt wie der Bauch einer Schwangeren, und darüber, leider, ein paar Männertitten.

Darius Kopp ist Anfang 40, verheiratet und als Vertreter einer amerikanischen Firma für drahtlose Netzwerke zuständig für den deutschsprachigen Raum und Osteuropa. Er sieht sich selbst als zufriedenen Genussmenschen. Aus der DDR stammend, war er als gelernter Informatiker im boomenden Berlin nach der Wende zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Gemeinsam mit seiner Frau Flora hat er sich ein kleines, aber feines Dachterrassen-Idyll aufgebaut. Seit drei Jahren versuchen sie, ein Kind zu zeugen. Was - aus welchen Gründen auch immer - nicht gelingen will.

Businessman im Businesscenter

Der kleine, kränkliche Darius, Asthma bronchiale von Geburt an, hat es also geschafft. Er ist jetzt ein Businessman mit Büro und Sekretärin im Businesscenter. Doch nur eine einzige heiße Sommerwoche stellt alles auf den Kopf.

Es kommt immer irgendwas dazwischen: eine Softwareumstellung, der COO, der CFO und die äußerst nette, aber äußerst inkompetente Hälfte der Buchhaltung wird geschasst, kurz und gut, es geht drunter und drüber.

Bis ins letzte oft groteske, oft grausame Detail werden Kopps Gedanken seziert, wird sein stetiger Abstieg protokolliert. Anfangs ist nur ein leichtes Beben in seinem jahrelang fleißig aufgebauten Karrieregebäude zu spüren, doch schon bald bröckelt merklich die Fassade. Ein säumiger Kunde aus Armenien hinterlässt 40.000 Euro in einer Schachtel, ungefähr die gleiche Summe, die ihm sein kaum mehr greifbarer Boss schuldet. Soll er den Kassa-Eingang einfach verschweigen?

Verlust der Sicherheiten

Warum läuft das Geschäft eigentlich so schlecht? Kann man langjährigen Partnern noch trauen? Warum heben seine Vorgesetzten das Telefon nicht mehr ab, warum bleiben seine E-Mails unbeantwortet? Existiert die Firma, für die er arbeitet, überhaupt noch? Der Zusammenbruch seiner schön zurecht gezimmerten Arbeitswelt schreitet immer schneller voran.

Während Kopp im Kampf gegen den Verlust all seiner Sicherheiten den Verstand zu verlieren scheint, gerät langsam aber sicher auch seine private Welt ins Wanken. Zum Preis, seinen online-Status vorübergehend aufgeben zu müssen, verbringt er seiner Frau zuliebe ein Wochenende am Land, was er kaum erträgt.

Ebenso mühsam entwickelt sich der Krankenhausbesuch bei seiner Mutter, vor allem wegen der ebenfalls anwesenden Verwandten. Die Beziehung zu Flora entwickelt sich angesichts seiner hochgradig angespannten Nervenstränge zum permanenten Drahtseilakt.

Liebster, bitte. Ich bin müde, mir tut alles weh, ich glaub, ich krieg meine Tage. Das, lieber Kopp, sind die Momente, in denen man - unter Umständen - aufmerksam sein müsste, aber er nickte nur: Der Lack ist ab. Ließ sie los, stürzte auf seine Betthälfte zurück, landete auf dem Rücken und schlief sofort ein.

Innenschau eines einsamen Kämpfers

Terézia Mora, die vor genau zehn Jahren den Ingeborg-Bachmann-Preis gewann, hat nach dem Erzählband "Seltsame Materie" und ihrem großen Erfolgsroman "Alle Tage" erneut ein sehr aktuelles und äußerst präzises Buch geschrieben. Über einen Mann, der einfach nicht einsehen will, dass der große Crash auch sein Idyll zerstören wird, weil er zu gutmütig und kurzsichtig ist, um rechtzeitig das sinkende Schiff zu verlassen. Wie ein trotziges Kind stemmt sich der dicke Mann gegen alles und jeden.

Die Innenschau dieses letztlich einsamen Kämpfers gerät Mora dabei deshalb so spannend, weil sie auf äußerst geschickte Weise innere Monologe, imaginäre und reale Gespräche, sowie vermutete Reaktionen auf sein verzweifeltes Treiben verbindet. "Der einzige Mann auf dem Kontinent" ist auch der bedauerlichste, weil man ja doch Mitleid hat mit diesem braven, aber naiven Arbeiter im globalisierten Niemandsland. Ein Roman, der zu Herzen geht, ohne sentimental zu sein.

"Das Buch der Woche" ist eine Aktion von Ö1 und Die Presse.

Hör-Tipps
Das Buch der Woche, Freitag, 21. August 2009, 16:55 Uhr

Ex libris, Sonntag, Sonntag, 23. August 2009, 18:15 Uhr

Mehr dazu in oe1.ORF.at

Buch-Tipp
Terézia Mora, "Der einzige Mann auf dem Kontinent", Luchterhand Verlag

Link
Luchterhand - Terezia Mora