Rechtsprechung in Kriegszeiten

Was damals Recht war…

Mehr als drei Millionen Urteile hat die NS-Militärjustiz in den Kriegsjahren 1939 bis 1945 erlassen, darunter 25.000 bis 30.000 Todesstrafen gegen Angehörige der Wehrmacht. Eine Ausstellung in Wien gibt Opfern und Tätern ein Gesicht.

Für einen Wehrmacht-Soldaten, der sich weigerte, ein Brotstück herauszugeben, das ein Zivilist ihm zugeworfen hatte: Einweisung ins KZ.

Fronteinsatz für politisch unliebsame Personen und jene Soldaten, die in sogenannten Bewährungstrupps sich unter Todesgefahr neu zu beweisen hatten.

Für Wehrdienstverweigerer, Deserteure, sowie sogenannte Kriegsverräter und Selbstverstümmler: Tod durch Erschießen, Enthaupten oder Erhängen.

"Je länger der Krieg dauerte, desto schärfer wurde die Urteilssprechung der Wehrmachtsgerichte", sagt der Politikwissenschaftler Thomas Geldmacher. Er ist Vereinsobmann des Personenkomitees Gerechtigkeit für die Opfer der NS-Militärjustiz, der gemeinsam mit dem Verein Gedenkdienst eine Ausstellung über Soldaten und Zivilisten vor Gerichten der Wehrmacht nach Wien gebracht hat.

"Was damals Recht war..." - so der Titel der Ausstellung - macht nach vielen Stationen in Deutschland nun bis Ende Oktober im Theater Nestroyhof / Hamakon im zweiten Wiener Gemeindebezirk Halt. Die Wanderausstellung ist ein Projekt der Berliner Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas und wurde von den Veranstaltern für deren erstmalige Präsentation in Österreich aktualisiert.

Todesstrafen als Abschreckungsurteile

Die Militärjustiz war ein wichtiges Werkzeug der politischen und militärischen Führung des NS-Staates. Am Ende des Zweiten Weltkrieges dienten an mehr als 1.000 Kriegsgerichten der Wehrmacht über 3.000 Richter. Ihre Hauptfunktion war, abschreckende Urteile zu fällen, um so die Verlässlichkeit der Truppen zu gewährleisten.

Trauma der Niederlage

"Der Hauptgrund hierfür liegt im Trauma der Niederlage der deutschen Monarchie im Ersten Weltkrieg. Die Verantwortung dafür wurde in der Zwischenkriegszeit sogenannten Zersetzern und Pazifisten angelastet - so wurden Wehrdienstverweigerer und Deserteure damals bezeichnet", sagt Thomas Geldmacher.

Und weiter: "Es hieß, sie hätten der Armee einen 'Dolchstoß' in den Rücken versetzt." Im Ersten Weltkrieg wurde die Desertion zur wichtigsten Verweigerungsform - zahlreiche Soldaten zerbrachen an der Erfahrung von Gewalt und Tod an der Front. Gemessen an den Urteilen der NS-Militärjustiz wurden von den im Ersten Weltkrieg zuständigen Militärgerichten mit knapp 50 Todesurteilen gegenüber Deserteuren jedoch vergleichsweise wenige Todesstrafen verhängt.

"Bei den alliierten Kriegsgegnern lag die Zahl der hingerichteten Fahnenflüchtigen teilweise bedeutend höher", so Geldmacher. Den Umstand, dass im Ersten Weltkrieg von den deutschen Gerichten vergleichsweise wenige Todesurteile gefällt worden waren, betrachtete der NS-Führungsapparat als entscheidenden Grund für die erlittene Niederlage im Ersten Weltkrieg.

"Bewährung" an der Front

Von den 25.000 bis 30.000 zu Tode verurteilten Wehrmachtsangehörigen wurden zwischen 18.000 und 22.000 Personen in Folge tatsächlich hingerichtet. Viele jener gefassten Deserteure, die nicht umgebracht wurden, mussten sich oft in sogenannten Bewährungstruppen an der Front neu beweisen.

Im Falle einer Frontbewährung wurde den Soldaten Strafmilderung oder Straferlass in Aussicht gestellt. "Doch die Verluste in solchen 'Bewährungstruppen' waren ungeheuer groß, sie glichen wahren Himmelfahrtskommandos", sagt Thomas Geldmacher. Zehntausende Soldaten und Zivilisten mussten in den letzten Kriegsjahren dennoch in solchen Bewährungstruppen dienen. Bei Nicht-Bewährung an der Front beziehungsweise mangelnder Tapferkeit drohte ihnen die Rückführung in den Strafvollzug oder eine Einweisung ins KZ.

Viel Ermessensspielraum für Richter

Die Prozesse der NS-Wehrmachtsjustiz hatten mit heute gültigen Rechtsnormen nichts zu tun - die Verfahren wurden beispielsweise drastisch abgekürzt, Angeklagte durften keine Einsicht in die Akten nehmen und Verteidiger wurden überhaupt nur jenen Angeklagten zur Seite gestellt, die die Todesstrafe fürchten mussten.

Dennoch gilt, dass die NS-Militär-Richter in ihrer Rechtssprechung einen nicht unerheblichen Ermessensspielraum hatten: So konnte eine Desertion auch als unerlaubtes Entfernen von der Truppe interpretiert werden - ein Vergehen, auf das eine weitaus mildere Strafe stand.

Opfer bis heute nicht vollständig rehabilitiert

Ein Teil der Urteile der NS-Militärgerichte ist - in Österreich und auch in Deutschland - bis heute nicht aufgehoben worden. Zudem sind die Deserteure des Zweiten Weltkriegs - anders als in Deutschland - im Bewusstsein der österreichischen Öffentlichkeit noch nicht vollständig rehabilitiert.

An den Verdienst, durch ihre Desertion die NS-Kriegsmaschinerie geschwächt zu haben, erinnert in Österreich nur ein bescheidenes Denkmal im Donaupark Kagran - an jenem Ort wurden im Zweiten Weltkrieg zahlreiche Wehrmachtsangehörige und Zivilisten, die sie unterstützt hatten, hingerichtet.

Hör-Tipp
Dimensionen, Dienstag, 15. September 2009, 19:05 Uhr

Buch-Tipps
Ulrich Baumann, Magnus Koch, Stiftung Denkmal der ermordeten Juden Europas (Hrsg.), "Was damals Recht war. Soldaten und Zivilisten vor Gerichten der Wehrmacht.", Verlag: bebra

Walter Manoschek (Hrsg.), "Opfer der NS-Militärjustiz. Urteilspraxis - Strafvollzug - Entschädigungspolitik in Österreich", Mandelbaum Verlag

Hannes Metzler, "Ehrlos für immer? Die Rehabilitierung der Wehrmachtsdeserteure in Deutschland und Österreich". Mandelbaum Verlag

Veranstaltungs-Tipp
Ausstellung "Was damals Recht war...", bis 15. Oktober 2009, Theater Nestroyhof / Hamakom

Links
Ausstellung "Was damals Recht war…" - mit weiter führenden Informationen zu den Themen Desertion, Wehrdienstverweigerung und Rehabilitierung der Opfer der NS-Militärjustiz
Verein Gedenkdienst
Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas
Deserteurs- und Flüchtlingsberatung