Die lange Fahrt ins Ungewisse

Die Freude am Fahren

Milliardenverluste bei Daimler und Porsche, Insolvenz von General Motors, steigende Benzinpreise, gesetzliche Vorgaben zum CO2-Ausstoß: Die ökonomischen und ökologischen Nebenwirkungen der automobilen Gesellschaft haben die Hersteller erreicht.

Spritschluckende Limousinen und SUVs, lange der letzte Schrei, sind nicht mehr gefragt. Gekauft werden stattdessen vermehrt leichtere, kleinere, sparsamere Autos mit weniger Schadstoffausstoß; und wenn man den Umfragen Glauben schenken darf, wünschen sich 50 Prozent aller Autofahrer als nächstes Auto ein Elektrofahrzeug oder einen Wagen mit Hybridantrieb.

Die Politik zieht mit und fördert die Einführung von Elektroautos. Bis 2020 will die "Austrian Mobile Power"-Plattform 100.000 Elektrofahrzeuge auf Österreichs Straßen bringen und dafür 50 Millionen Euro in die Entwicklung von serienreifen Elektrofahrzeugen stecken. Ab 2010 startet die Pilotphase des Projekts mit einer Testflotte von 100 Fahrzeugen, 2012 sollen 1000 Elektromobile auf Österreichs Straßen unterwegs sein. Deutschland will bis zum Jahr 2020 eine Million Elektromobile im Verkehr haben.

Erstaunlich an diesen Entwicklungen ist eigentlich nur, dass sie so spät kommen, denn Krisen, die zum Umdenken hätten führen können, gab es schon vorher, wie zum Beispiel die Suezkrise 1958 oder die Ölkrise 1970,wie Paolo Tumminelli, Direktor des Kölner Instituts für "Automotive Culture", meint.

Das Auto ein Kultobjekt

Vielleicht liegt es daran, dass das Auto immer mehr als bloß ein technisches Fortbewegungsmittel war; seit seiner Erfindung wurde es als Kultobjekt verehrt, das die magische Überwindung menschlicher Begrenztheit ermöglichte, im doppelten Sinne eine transzendierende Er-Fahrung.

"Ich glaube, dass das Auto heute das genaue Äquivalent der großen gotischen Kathedralen ist."

Schrieb der französische Semiotiker Roland Barthes 1957 in seinem Buch "Mythen des Alltags" schon in den 1950er Jahren, als die Massenmotorisierung gerade erst begann.

"Ich meine damit: eine große Schöpfung der Epoche, die mit Leidenschaft von unbekannten Künstlern erdacht wurde und die in ihrem Bild, wenn nicht überhaupt im Gebrauch von einem ganzen Volk benutzt wird, das sich in ihr ein magisches Objekt zurüstet und aneignet."

Roland Barthes sang eine Eloge auf den avantgardistischen Citroen DS und bescheinigte ihm göttliche Qualitäten. Und wenig später waren es die Beatles, die mit dem Hit "Baby you can drive my car" die Liebe und das Automobil in einem Atemzug nannten. Dass der junge Mann, der gern ein Star sein möchte, seine Angebetete schon einmal mit seinem Auto fahren lässt, ist wie das Versprechen des baldigen Ruhms: Autos haben magische Kraft.

Ego-Prothesen und Antidepressiva

Autos sind nach dem Philosophen und Kulturwissenschaftler Peter Sloterdijk wegen ihrer archaischen Dimension "völlig immun gegen Aufklärung". Und dies ist, wenn man dem Medienwissenschaftler Norbert Bolz folgen will, nicht etwa paradox, sondern geradezu notwendig: Denn je moderner, d.h. sachlicher die wirtschaftliche, wissenschaftliche und technische Umwelt des Menschen wird, desto mehr sind seine archaischen Bedürfnisse auf eine Ersatzbefriedigung aus, damit sich der Mensch in seiner Haut noch wohl fühlt.

Weil Autos als kinetische Ego-Prothesen und "kinetische Antidepressiva" fungieren können, wurden sie in den letzten Dekaden immer schneller, PS-stärker und größer. Doch die Aufklärung lässt sich nicht so leicht zum Schweigen bringen, und so stehen angesichts der Öl- und Umweltkrise heute die Marketingstrategen vor der Aufgabe, den maskulinen und kinetischen Mythos des Autos umzucodieren.

Druck auf Automobilhersteller wächst

Die Werbung für den Toyota Prius setzt entsprechend auf ökologische Werte. Wer den Prius Hybrid fährt, lautet die Message, lässt tausend Blumen blühen. Nicht nur das gewachsene Umweltbewusstsein, auch der Gesetzgeber übt inzwischen einen beträchtlichen Druck auf die Automobilhersteller aus, indem er Höchstmengen des erlaubten Kohendioxidausstoßes vorschreibt. Den Autoschmieden drohen Strafzahlungen, wenn ihre Flotten einen auf 120g pro Kilometer festgesetzten Durchschnittswert überschreiten. So wird der Strukturwandel bei den Autobauern zur Überlebensnotwendigkeit.

Eine schwerwiegende Frage

Die Autoindustrie habe das Thema Hybrid als Marketingmöglichkeit entdeckt, meint Paolo Tumminelli. Nach dem Motto: Ich verkaufe dir einen alten Verbrennungsmotor und dazu packe ich dir noch einen Elektromotor.

"Es ist offensichtlich eine Strategie der Erhaltung des Status quo, aber irgendwann kann es zu drei Situationen gleichzeitig kommen: Erstens Umweltbewusstsein; heute ist es klar, dass wir uns mit Emissionen regeln müssen. Punkt zwei ist die Öffnung der neuen Märkte. China, Indien, Russland, und dann läuft die Rechnung mit dem Öl nicht mehr. Es könnte gewesen sein, dass mit dem verfügbaren Öl wir in Europa, in Amerika noch 50, 100 oder 150 Jahre weitermachen können, aber es ist ganz klar, dass das System nicht funktioniert, wenn diese Märkte dazukommen. Und der dritte Punkt ist die Vollendung der Mission des Automobils, sprich: wir haben heute in Deutschland 55 Millionen Fahrzeuge und jetzt kommt die Frage: Können wir diese Konsumgeschwindigkeit aufrechterhalten, wenn der Markt satt ist? Und deshalb kommt jetzt in dieser Dreiersituation die große Frage: Was kommt nach dem Automobil?"

Hör-Tipp
Salzburger Nachtstudio, Mittwoch, 14. Oktober 2009, 21:01 Uhr