Reise in ein großes unbekanntes Musikterritorium

Sonic Zones

Mit Franz Pomassl und Anna Ceeh von Laton haben wir jeden ersten Mittwoch im Monat das weitgehend noch unerforschte Musikterritorium der ehemaligen UdSSR bereist. Nun stehen auch alle Folgen der Zeit-Ton Reihe "Sonic Zones“ zum Nachhören bereit.

Sonic Zones Teil 11 zum Nachhören

Nach Petropawlowsk auf der Halbinsel Kamtschatka fährt kein Zug und auch kein Bus, wer dort hin möchte, der muss fliegen. Sonst gäbe es nämlich keine weiteren Verbindungsmöglichkeiten, so Anna Ceeh: "Vom restlichen Russland ist man total abgeschnitten. Man kann maximal noch mit einem Schiff nach Amerika, Kanada oder Japan fahren, wobei man für diese Länder ja ein Visum braucht, und das bekommt man erst recht wieder nur in Moskau."

Land auf wackeligem Boden
Petropawlowsk-Kamtschatski liegt, das lässt sich hier wohl ohne Übertreibung sagen, mitten in der Wildnis, und auf oft wackeligem Boden. Erdgeschichtlich besehen ist die Halbinsel im fernsten russischen Osten ein noch sehr junges Land, verrät der Blick ins Internetlexikon Wikipedia. Erst seit etwa zwei Millionen Jahren seien hier die gewaltigen Kräfte der Erde am Werken und von den insgesamt 160 Vulkanen seien 28 aktiv, rund sechs davon brechen im Jahr sogar aus. Auch während ihrem kurzen Aufenthalt dort hätte die Erde mehrmals gebebt, erzählen Anna Ceeh und Franz Pomassl.

Offene Ohren

In der Sowjetunion war Petropawlowsk-Kamtschatski ein wichtiger Militärstützpunkt, berichtet Anna Ceeh, der das Leben in der Stadt zum Blühen brachte.

"Jetzt ist das nicht mehr so, weshalb auch sehr viele die Stadt verlassen", erzählt Ceeh. "Dort gibt es nicht mehr wirklich etwas zu holen. Die, die aber bleiben, sind irgendwie wilder drauf. Wohl auch, weil sie immer mit dieser Angst leben müssen, beim nächsten Erdbeben womöglich am falschen Ort zu sein. Die Menschen in Petropawlowsk haben schon offenere Ohren, selbst die breite Masse."

Lebensnerv Radio

Und ganz wichtig, ergänzt Franz Pomassl, sei in diesem unwegsamen Gelände das Radio, es lässt die Leute, die in der Regel in den Hubschrauber steigen müssen, um einander besuchen zu können, miteinander in Verbindung bleiben. Die Radiomacher hätten gewissermaßen jene Funktion, die bei uns am Land früher die Greißler oder Postboten gehabt haben. Einer von ihnen ist Albert Rivkin. Er versorgt die Menschen in Kamtschatka nicht nur mit allen möglichen Informationen, sondern auch mit experimenteller elektronischer Musik, on air und auch in dem von ihm allmonatlich betriebenen Club, den er dann jedes Mal im Radio ausgiebig ankündigt.

"So findet man dann wirklich Menschen aus allen Bereichen auf diesen Partys", sagt Franz Pomassl. "Der Molkereibetreiber ist dort genauso anzutreffen wie etwa auch der Sänger von Metallica, wenn er gerade wieder in Kamtschatka auf Bären-Jagd ist."

Große PR-Offensive

In den Genuss dieser großflächigen Promotion kamen dann auch Franz Pomassl und Anna Ceeh bei ihrer Reise nach Petropawlowsk-Kamtschatski vor ziemlich genau einem Jahr. "Wie wir beim Flughafen raus und ins Taxi rein sind, ist auch schon meine Musik gelaufen und wurde auch schon, mit einem langen Jingle, das Konzert angekündigt", erinnert sich Pomassl. "Während der 40-minütigen Autofahrt in die Stadt war dieser Jingle gleich zwei, drei Mal zu hören."

Und beim Konzert dann, am Abend im Club, herrschte höchst aufgeweckte Stimmung, führt Anna Ceeh weiter aus: "So eine Musik wie die von Franz haben die Leute dort zwar noch nie gehört, aber alle haben gleich irre schnell reagiert, den Sound aufgenommen, getanzt und genossen. Das ist auf alle Fälle schon einmal ein sehr gutes Zeichen."

Prototypische Geschichte
Die Geschichte von Albert Rivkin sei geradezu prototypisch, meint Anna Ceeh. Als Kind einer ewenkischen Mutter und eines weißrussischen Vaters, der als Geologe auf dem damals noch sowjetischen Militärstützpunkt gearbeitet hat, ist er in Kamtschatka aufgewachsen. Nach dem Zusammenbruch der UdSSR übersiedelte Rivkin, wie so viele andere auch, nach Moskau, um dort ganz in die aufbrodelnde elektronische Musikszene einzutauchen.

"Er hat dort sehr viel aufgenommen, ist dann aber doch wieder zurück zu den mittlerweile bereits alten Eltern, die nun aber nach Weißrussland gezogen sind", erläutert Ceeh. Auch der Sohn von Albert Rifkin lebt heute nicht mehr in Kamtschatka, sondern in Moskau. Rifkin selbst gehört zu den ganz wenigen, die sich schließlich dazu entschlossen haben, in Petropawlowsk zu bleiben. Albert Rifkin wollte sein Wissen, das er in Moskau gesammelt hatte, an die Menschen dort weitergeben."

One Man Show
Albert Rivkin selber kommt übrigens nicht zum Musikmachen, seine gesamte kreative Energie steckt er in seine "Antiworld Rhythms", so der Titel von Rivkins Radiosendung und Club. Und er steckt sie in seine Arbeit als künstlerischer Leiter des Radiosenders auf dem die "Antiworld Rhythms" zu hören sind, und in das Produzieren der Werbung, die den Radiosender finanziert, wobei nun angemerkt werden müsse, so Franz Pomassl, dass Rivkin in diesem Rahmen dann eigentlich doch Musik machen würde, denn ihm stünden keine Studiomusiker zur Verfügung.

Franz Pomassl: "Das heißt, er braucht gar kein Band-Format oder irgendetwas dergleichen, denn er produziert täglich ohnehin in fünf verschiedenen Formaten. Er moderiert nicht nur, sondern spielt etwa bei dem Werbejingle für die lokale Molkerei auch Gitarre und singt den Text."

Immer wieder müsse Albert Rifkin auch in die Stadt Magadan reisen, die wir in der Sonic Zones Folge Nummer 10 durchstreift haben, fügt Anna Ceeh dem noch hinzu: "Die Leute dort schätzen seine Werbejingles dermaßen, dass sie ihn immer wieder engagieren und extra einfliegen lassen."

Hör-Tipp
Sonic Zones, die Vorlese, jeweils im ersten Zeit-Ton-Magazin des Monats

Veranstaltungs-Tipp
Club Zone mit ADD, Artificial Intelligence, Dabelka, Mr. Belk und Anna Ceeh, Freitag, 27. November 2009, 19:00 Uhr, Wiener Secession

Links
MySpace - Club Zone
Laton
Secession
YouTube - Franz Pomassl beim Club "Antiworld Rhythms"
YouTube - Albert Rifkin bei "The Future Sounds of North Asia", Wiener Festwochen