Friederike Schlesinger über Richard Strauss

"Eigentlich hat er gar nicht viel gemacht"

Sie ist die "Doyenne des Opernstehplatzes", begonnen hat sie bereits vor Marcel Prawy und Richard Strauss hat sie noch als Dirigenten erlebt: Friederike Schlesinger, Jahrgang 1908. Im Ö1 Gespräch erinnert sie sich an unvergessliche Aufführungen mit Richard Strauss.

"Die erste Vorstellung, die ich mit Richard Strauss in der Oper gehört habe, war Mozarts 'Cosi fan Tutte' im Jänner 1921. Das war eine Alfred-Roller-Inszenierung - es war ein wunderbarer Eindruck. Den 'Rosenkavalier' habe ich dann im Februar 1928 unter seiner Leitung mit Helene Wildbrunn als Marschallin, Vera Schwarz als Oktavian, Alfred Jerger und Koloman von Pataky erlebt. Es sind unvergessliche Eindrücke", erinnert sich Friederike Schlesinger, Jahrgang 1908, die Doyenne des Wiener Opernstehplatzes.

Über ihre Musik-Leidenschaft, die sie bereits sechs Jahre vor ihrem "Kollegen" Marcel Prawy in die Oper brachte, führt sie genau Buch - in Listen, Büchern und Klavierauszügen ist alles genau nach Datum, Besetzung etc. festgehalten. Nicht zuletzt auch in gemalter und gezeichneter Form - so finden sich in ihren Skizzen-Büchern Bühnenbilder und Figurinen zahlreicher damaliger Opern-Produktionen.

"Strauss hat sehr ruhig dirigiert"

"Zu einem meiner stärksten Eindrucke zählt der 'Tristan', den ich von Strauss gehört habe. Und natürlich seine eigenen Werke - vor allem 'Salome' und 'Elektra' habe ich sehr oft unter seiner Leitung erlebt", erzählt die Opern-Liebhaberin.

Und wie war Richard Strauss als Dirigent? "Er hat sehr ruhig dirigiert, sich kaum bewegt. Das Auffallende beim Dirigenten Strauss war, dass er die linke Hand überhaupt nicht bewegt hat und auch die rechte nur sehr sparsam einsetzte", schildert Schlesinger.

"Rosenkavalier" mit Lehmann und Jeritza

Eine "Rosenkavalier"-Aufführung - zwar nicht unter Strauss, sondern unter Hugo Reichenberger - hat Schlesinger besonders in Erinnerung: "Mit Lotte Lehmann als Marschallin, Maria Jeritza als Oktavian und Richard Mayr als Ochs. Es war ein unvergleichlicher Abend durch das einmalige Zusammenspiel dieser Sängerpersönlichkeiten."

Und vom legendären Salzburger Bassisten Richard Mayr, bis heute Inbegriff des Ochs auf Lerchenau, schwärmt sie: "Er hat die Rolle sehr sympathisch dargestellt, nicht ordinär und derb. Schließlich ist der Ochs letztlich ja doch ein Landadeliger. Und stimmlich ließ Mayr keine Wünsche offen."

Einst und jetzt

"Zu meiner Zeit haben die Marschallinen schon älter gewirkt und wurden auch meist von reiferen Sängerinnen gesungen. Heute wird diese Partie auch mit jüngeren Sängerinnen besetzt - laut Hofmannsthal ist sie ja keine alte Frau, sondern erst um die 32", zieht die 96jährige Musikliebhaberin Vergleiche.

Wen sie aus der jüngeren Vergangenheit in dieser Partie besonders in Erinnerung hat? "Das waren früher Hilde Konetzny und Maria Reining. Später war es die französische Sopranistin Regine Crespin, übrigens eine Lehmann-Schülerin, die insgesamt rollendeckend war", so Schlesinger rückblickend."

Die Wiener Opern-Ära Strauss

"Es war eine wunderbare Zeit. Damals war natürlich vieles einfacher, weil die Künstler großteils in Wien waren und nicht ständig gereist sind. Der Spielplan wurde von Woche zu Woche gemacht - da war man am Samstag neugierig, was in der Woche darauf gespielt wird. Damals gab es ja nicht solche Serien wie heute", beurteilt der betagte Opern-Fan die Direktions-Ära Richard Strauss/Franz Schalk (1919 bis 1924) an der Wiener Oper.

Ihre Erinnerungen an diese legendäre Zeit reichen bis zu den Anfängen, also auf das Jahr 1919, zurück: "Damals hat sich alles um die 'Frau ohne Schatten' gedreht. Obwohl ich ja erst elf Jahre alt war und die Uraufführung selbst nicht gesehen habe, erinnere ich mich sehr genau daran. Es war ja eine der wenigen Strauss-Uraufführungen in Wien. Und das war natürlich ein Ereignis."

Letzter Strauss-Auftritt zum 80er

"Zuerst hat Karl Böhm das 'Meistersinger'-Vorspiel dirigiert, dann haben die Wiener Philharmoniker den 'Rosenkavalier'-Walzer gespielt und nach der Pause hat Richard Strauss selbst seine 'Sinfonia domestica', die er oft in seinen Konzertprogrammen hatte, dirigiert", erinnert sich Friederike Schlesinger an das letzte Auftreten des Meisters in Wien anlässlich des Fest-Konzerts zu seines 80. Geburtstag am Vormittag des 11. Juni 1944 im Musikverein.

Natürlich war sie auch abends in der von Karl Böhm dirigierten legendären Festvorstellung von "Ariadne auf Naxos" mit Maria Reining, Max Lorenz, Alda Noni und dem jungen Erich Kunz, die auch als Tondokument festgehalten wurde, auf dem Opernstehplatz.

Erlebte Musikgeschichte

Ihre Liebe zur Musik hat familiäre Hintergründe: Denn Friederike Schlesinger stammt aus der Klavierbauer-Dynastie Czapka. Ihr Großvater war noch mit Johann Strauss befreundet. Und so findet man in ihrer riesigen Sammlung Hunderte Fotos, Klavierauszüge, Bücher, Autografen und Kleinodien - bis zu einer Verdi-Widmung und einem Taktstock Toscaninis.

Ihre "Opern-Karriere" begann Friederike Schlesinger 1911 mit dem Ballett "Puppenfee". Opern-Besucherin ist sie seit 1917. Sie, deren Liebling Leo Slezak war, erlebte noch die ganz Großen wie Maria Jeritza, Fjodor Schaljapin, Selma Kurz, Richard Tauber, Toscanini und Weingartner. Durch eine Schicksalsfügung wurde sie später Privatsekretärin von Anna Bahr-Mildenburg, der einstigen Heroine der Mahler-Ära und späteren Frau von Hermann Bahr, bis zu deren Tod 1947. Die große Künstlerin hat sie auch noch drei Mal als Klytemnästra in der "Elektra" unter Strauss erlebt. Und bis heute - "soweit es mir möglich ist, denn auf dem Stehplatz geht es nicht mehr" - nimmt die 96jährige Musik-Enthusiastin noch immer mit großem Interesse am Musikleben teil.