Kindersoldaten in Afrika

Kleine Feinde

"Alles, was wir wissen ist, dass wir vor dem Krieg Kinder waren und jetzt sind wir es nicht mehr." Reife Worte, die der amerikanisch-nigerianische Autor Uzodinma Iweala seinem Protagonisten Agu, einem Jungen irgendwo in Westafrika, in den Mund legt.

"Alles, was wir wissen ist, dass wir vor dem Krieg Kinder waren und jetzt sind wir es nicht mehr." Reife Worte, die der amerikanisch-nigerianische Autor Uzodinma Iweala in "Beasts of No Nation" seinem kindlichen Protagonisten in den Mund legt. Agu heißt er, ein Junge irgendwo in Westafrika.

Agu ist Kindersoldat. Ein Schicksal, das er laut Unicef, dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, mit 250.000 anderen Kindern rund um den Globus teilt. Eine Schätzung, nicht mehr. Denn viele Kinder, speziell in afrikanischen Dörfern oder Slums, haben keine Geburtsurkunde. In den langwierigen Konflikten wachsen sie oft aus dem Kindesalter hinaus.

Täter und Opfer zugleich

Ein schlimmes Trauma, so viel weiß man jedenfalls, haben sie alle: Bei einer deutschen Untersuchung in Uganda und dem Kongo litt jeder dritte Befragte unter schweren posttraumatischen Störungen. Mehr als die Hälfte der Kinder hat angegeben, selbst jemanden getötet zu haben. 84 Prozent sind geschlagen worden. Fast 70 Prozent haben zugesehen, wie ein anderes Kind getötet oder verwundet wurde.

Was also fragt man so einen Kindersoldaten, wenn man als Journalistin erstmals einem gegenüber sitzt, in einem entlegenen Dorf in Norduganda? "Sag mal, hast du auch deine Eltern umbringen müssen, hast du auch jemanden zerhackt? Ich habe gehört, viele Kämpfer tragen Amulette um den Hals, mit Zähnen oder Haaren oder Hautfetzen. Es macht sie angeblich unsterblich - hast du auch so was?"

Nein, natürlich fragt man all das nicht. Die Vorstellung, was der mittlerweile 14-jährige Johacim durchgemacht haben mochte, schnürt einem die Kehle zu. Und auch Johacim fällt das Reden sichtlich schwer. Wie ein Monster wirkt er nicht. Und ist es vielleicht doch. Das macht den Umgang mit Kindersoldaten so schwierig. Wer kann schon in eine solche Seele blicken? Kindersoldaten sind schließlich immer Täter und Opfer zugleich. Ausgehungert sind sie, verwirrt und wütend. In der Therapie werden sie oft schweigsam und verschlossen.

Kindersoldat Agu

Jahre nach der Begegnung mit Johacim in Uganda fand ich in einer Buchhandlung in Kenia den schmalen Roman von Uzodinma Iweala. Es ist sein Debut, ein packendes Buch von der ersten Seite an. Denn plötzlich ist da ein Kindersoldat, der sich sehr wohl in seine Seele blicken lässt - und das tief. Agu ist der Kindersoldat schlechthin.

Oft träumt er vom Dorf - und weiß sogleich, dass das nicht sein darf. "Das war vor dem Krieg", wischt er die Erinnerung umgehend fort, "ich erinnere mich daran nur, wie im Traum." Schließlich zerhackt er eine Frau und deren Tochter. Die Grenzen zwischen Gut und Böse sind endgültig dahin, beim Töten findet er keinen Unterschied mehr zwischen Mensch und Tier. "I am not knowing what is farmer and what is goat", sagt er in einem kunstvoll verfeinerten Pidgin-Englisch, das den Text des erst 23-jährigen Erzählers so besonders macht und von jedem Betroffenheitskitsch befreit.

Wenige Happy Ends

Am Ende gelingt Agu die Flucht. Wie Johacim wird er von einer NGO aufgenommen und betreut. Ein Happy End, wenn man so will, das nicht vielen Kindersoldaten vergönnt ist. Die UNO schätzt, dass allein zwischen 1990 und 2000 zwei Millionen Kindersoldaten gefallen sind. Darunter sind auch viele, die niemals eine Waffe besessen, geschweige denn benutzt haben: Träger, Köche, Sex-Sklavinnen - auch sie fallen unter den Begriff Kindersoldaten.

Meist leben und sterben sie, ohne dass jemand im reichen Norden Notiz davon nimmt. In Iwealas Buch will nicht einmal die Sonne Zeuge der Gräuel sein, die die mit "Gun juice" vollgestopften Killer verüben. "Wir sind im Camp," sagt Agu, "und ich seh, wie hinter dem Hügel die Sonne untergeht, wie wenn sie uns alle nicht mehr sehen will."

Service

Uzodinma Iweala, "Du sollst Bestie sein!", aus dem Englischen übersetzt von Marcus Ingendaay, Ammann Verlag