Reportage von Mark Twain

Post aus Hawaii

Mark Twains Hawaii-Reportagen lagen bisher nicht in Buchform vor. Teile davon hat der Autor 1872 in seinem Wildwestreisebuch "Durch Dick und Dünn" veröffentlicht; die gesammelten Hawaii-Berichte hat Alexander Pechmann nun erstmals in einer Edition versammelt.

Im März des Jahres 1866 brach der Journalist Samuel Langhorne Clemens alias Mark Twain an Bord des Dampfers "Ajax" von San Francisco aus in Richtung Hawaii auf. Der 30-Jährige sollte im Auftrag der kalifornischen Tageszeitung "Daily Union" eine Artikelserie über den malerischen Archipel im Pazifik schreiben - eine Aufgabe, der sich Mark Twain mit Bravour unterwand. Zehn Tage brauchte die "Ajax" für die Überfahrt nach Honolulu.

"Als wir in Sichtweite der Stadt kamen, schossen wir einen Salut, und ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung von Honolulu erschien, um den Dampfer zu begrüßen. Es war Sonntagmorgen zur Messe, und wir fuhren zur Musik von sechs verschiedenen Kirchenglocken durch die schmale Einfahrt ein.

Ein umgänglicher Herrscher

Zwölf- bis fünfzehntausend Einwohner hatte Honolulu damals, und die christlichen Missionare, die wenige Jahrzehnte zuvor über die Stadt hergefallen waren, hatten bereits ganze Arbeit geleistet. Hawaii war zu jener Zeit, in den 1860ern, ein selbständiges Königreich. König Kamehameha V. herrschte als aufgeklärter Monarch über die etwa 130 Inseln, er scheint, wenn man Mark Twain glauben darf, ein umgänglicher Mann und ein begeisterter Angler gewesen zu sein. Der Gast aus Kalifornien genoss das milde Klima auf Hawaii, er erfreute sich an Schirmmagnolien und Königinblumen, deren Duft ihm aus den Gärten Honolulus entgegenwehte.

Statt des vereinten Gestanks von Sacramento Street, Chinatown und den Schlachthäusern der Brannon Street inhalierte ich den balsamischen Odem aus Jasminblüten, Oleander und Königinblume. Statt voller Hast im Gedränge und lärmenden Durcheinander von San Francisco wandelte ich in einer Sommerstille, die so friedlich war wie die Abenddämmerung im Garten Eden.

Zwei Millionen Moskitos weniger

Worüber schreibt Mark Twain? Er berichtet von Spritztouren zum Vulkan Mauna Loa und zur Bucht von Kealakekua, wo James Cook 87 Jahre zuvor sein Leben gelassen hat, er besucht das staatliche Gefängnis Hawaiis und den königlichen Kokospalmenhain, er preist das "reine, süße, kühle, kristallklare" Bergwasser, das durch Honolulus Leitungsrohre fließt, und er ist zu Gast bei einer königlichen Begräbniszeremonie, in deren Verlauf er auch einer der bekannt lasziven Hula-Hula-Vorführungen beiwohnen darf.

Mark Twain weiß aber auch von den weniger angenehmen Seiten hawaiianischen Lebens zu berichten.

Abends schwirren hier jede Menge Moskitos umher. Sie sind ziemlich lästig. Doch ist es für mich überaus befriedigend zu wissen, dass die zwei Millionen, auf denen ich mich vor einer Minute niederließ, niemals wieder summen werden.

Ein Parlament wie jedes andere

Ausführlich widmet sich Mark Twain - zeitlebens ein glühender Anhänger der republikanischen Staatsform - den politischen Verhältnissen auf Hawaii. Er besucht eine Parlamentssitzung und kommt, mit typisch Twainschem Humor, zu einem ernüchternden Resümee.

Dieses Parlament ist wie alle anderen Parlamente. Ein Holzkopf steht auf und macht irgendeinen vollkommen absurden Vorschlag, wonach er und ein halbes Dutzend anderer Holzköpfe die Sache eine Stunde lang mit geschwätziger Leidenschaft durchdebattieren, während die anderen Abgeordneten seelenruhig abwarten, bis ein vernünftiger Mann - ein einflussreicher Mann - eine große Nummer - sich erhebt und die Torheit der Angelegenheit in fünf Sätzen darlegt. Dann wird abgestimmt und der Antrag zurückgestellt.

Ein anschauliches Bild

Mark Twains Hawaii-Reportagen erfreuten sich bei der Leserschaft der "Daily Union" aus Sacramento "enormer Beliebtheit", wie Herausgeber Alexander Pechmann in seinem instruktiven Nachwort berichtet. Des Autors Pseudonym "Mark Twain", das er erst drei Jahre zuvor angenommen hatte, wurde mit diesen Reportagen erstmals von einer breiten Öffentlichkeit wahrgenommen.

Der Erfolg dieser Berichte war so überwältigend, dass der Autor nach seiner Rückkehr in die Staaten auch eine lukrative Vortragsreise in Angriff nahm, die ihn finanziell für einige Zeit sanierte.

Zu den Höhepunkten des Hawaii-Buchs gehören sicher jene 25 Seiten, auf denen Mark Twain den Untergang des Klippers "Hornet" schildert. Der Kapitän und die überlebenden Matrosen der "Hornet" waren nach wochenlanger Rettungsboot-Irrfahrt auf dem Pazifischen Ozean schlussendlich auf Hawaii gelandet. Nachdem Mark Twain den dritten Maat und einige überlebende Seeleute ausführlich interviewt hat, beschreibt er den dramatischen Untergang des Frachters und den wochenlangen Überlebenskampf der hungernden Besatzung im Rettungsboot auf mehr als fesselnde Weise. Sicher ein Highlight dieses Bandes.

Mark Twains Hawaii-Buch, ein Frühwerk, markiert gewiss keinen Höhepunkt im Gesamtschaffen des Autors, lesenswert ist der Band dennoch. Zeichnet der amerikanische Meistererzähler doch ein anschauliches Porträt des hawaiianischen Archipels, den wir hier zu einer Zeit kennenlernen, als hässliche Betonburgen mit Strandblick und Elektrolytgetränk-schlabbernde Ironman-Athleten noch einer fernen, sehr fernen Zukunft angehörten.

Service

Mark Twain, "Post aus Hawaii", herausgegeben und übersetzt von Alexander Pechmann, Mare Verlag

Mare Verlag - Post aus Hawaii