Anzeige wegen Kritik an Tierschützerprozess

Rechtsstreit Richter - Professoren

Zwischen der Standesvertretung der Richter und den Rechtsprofessoren Österreichs ist nun ein ungewöhnlicher Konflikt ausgebrochen. Eine Universitätsprofessorin hat Kritik an der Richterin im Wiener Neustädter Tierschutz-Prozess geübt. Die Richtervertreter wittern Verleumdung und üble Nachrede und haben die Professorin der Staatsanwaltschaft gemeldet.

Mittagsjournal, 14.02.2011

Sorge um Freiheit der Wissenschaft

Es geht in diesem Konflikt nicht um einen Bassena-Streit mit irgendwelchen Schimpfworten, sondern es geht nebst der allgemeinen Meinungsfreiheit auch um ein zentrales Element der österreichischen Bundesverfassung, um die Freiheit der Wissenschaft. Die sehen nämlich die Rechtsprofessoren gefährdet, wenn die Staatsanwaltschaft und später ein Richter auf die Idee kommen sollte, sich den Ideen der Richtervereinigung anzuschließen.

Wissenschaftlicher Aufsatz

Einen Tag lang hörte die Professorin beim Prozess zu und zog in einer Tageszeitung folgendes Resümee: "Es war eine ungewöhnliche Verhandlung, die weit weg von einem rechtsstaatlichen Verfahren war." Und die Strafrechtsprofessorin belegte ihr Urteil im wissenschaftlichen "Journal für Strafrecht", mit einem wissenschaftlichen Aufsatz, mit sechs Textseiten, 22 Fußnoten, und dem Blick auf zahlreiche Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen nationaler und internationaler Herkunft. Kern der Kritik: Die Richterin habe Zeugen nicht zusammenhängend erzählen lassen, habe das Fragerecht der Verteidiger beschnitten.

Anzeige

So nicht, meint die Richtervereinigung, und hat den Tageszeitungsartikel der Staatsanwaltschaft gemeldet: Mit der Bitte zu prüfen, ob das üble Nachrede oder gar Verleumdung sei - bis zu einem Jahr Haft gibt's für letzteres. Nein, Anzeige sei das keine, doch bloß nur eine Anregung. Anzeige oder nicht - es herrscht Aufruhr in der Rechtswissenschaft.

Solidarität der Kollegen

Der Innsbrucker Strafrechtsprofessor Andreas Scheil ist entsetzt, und spricht auch Namens zweier anderer Innsbrucker Strafrechtsprofessoren: Diese Anzeige sei an den Haaren herbeigezogen und ohne jede Aussicht auf Erfolg. "Das muss man der Richtervereinigung vorwerfen, dass sie zu so einem Instrument greift, obwohl sie wissen müsste, dass das chancenlos ist und nur schlechtes Blut macht."

"Rechtsstaatlich bedenklich"

Der Wiener Verfassungsrecht-Professor Bernd-Christian Funk erklärt ausdrücklich seine Solidarität mit seiner Linzer Kollegin aus der Strafrechtswissenschaft. Zur Quasi-Anzeige der Richtervereinigung sagt Funk: "Das halte ich für rechtsstaatlich bedenklich, dann es muss ja wohl möglich sein, in einem öffentlich geführten Verfahren Kritik an der Verfahrensführung anzubringen."

Zweifel an Richterin

Und sowohl Strafrechtsprofessor Scheil als auch Verfassungsrechtler Funk üben Kritik auch an der Wiener Neustädter Richterin. Scheil: "Die Atmosphäre in diesem Prozess scheint ziemlich vergiftet zu sein. Die Angeklagten wehren sich, was ihr gutes Recht ist mit allen Mitteln. Und die Richterin scheint schwer unter die Räder zu kommen." Funk: "Es ergeben sich in der Tat Zweifel, ob die Verfahrensfairness, die zu den elementaren Grundrechten im Strafverfahren gehört, auch tatsächlich gewahrt ist."

Anzeige auch gegen Funk und Scheil?

Ob die Richtervereinigung nach dieser Kritik an der Wiener Neustädter Richterin jetzt auch diese beiden Professoren von der Staatsanwaltschaft überprüft sehen will? Der Innsbrucker Scheil tönt irgendwie kampfeslustig: "Ich rate der Richtervereinigung dringend davon ab, im ureigensten Interesse, gegen uns auch Strafanzeige zu erstatten." Und der Wiener Funk zeigt sich zwar fachlich entsetzt, aber persönlich ungerührt: "Ich würde dem gelassen entgegensehen." Eigentlich sollte in diesem Beitrag auch die Richtervereinigung zu Wort kommen. Deren Vertreter hat aber ein schon terminisiertes Interview mit Österreich 1 abgesagt. Und zwar mit der Bemerkung, man strebe ein Gespräch mit Professorin Velten an - und wolle vorher gegenüber den Medien nichts mehr sagen.