Die Bilanz eines Nahost-Korrespondenten

Unheiliger Krieg im Heiligen Land

Kein Krieg und kein Friede ist normalerweise der Status quo zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn: Über viele Jahre hinweg hat Jörg Bremen Nahost-Themen für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" aufbereitet. Im etwas ruhigeren Rom fand er die Zeit zu bilanzieren.

Geschichten und Analysen

18 Jahre lang berichtete Jörg Bremer aus Israel und den Palästinensergebieten - eine lange Zeit, die ihm einen intensiven, nachhaltigen Blick auf die politischen Entwicklungen ermöglichte. Der Beginn seiner Tätigkeit und das Buch setzen mit dem ersten Golfkrieg 1991 ein. Um zwei Uhr in der Nacht wurde der Korrespondent an seinem ersten Tag von heulenden Sirenen aus dem Schlaf gerissen, die vor Saddam Husseins Raketen warnten. Spontan lud ihn sein einziger israelischer Bekannter, der in der Gegend wohnte, zu sich ein.

Ich lief, rasch angekleidet, im Dunkel der Nacht zur nahe gelegenen Wohnung der Familie. Die Fenster waren verklebt, denn es gab die Befürchtung, die Iraker könnten Raketen mit Giftgas auf Israel abfeuern. Nun durfte auch ich noch mit in das kleine Zimmer, die Schutzburg für die nächsten Tage. Die Großmutter gab mir einen Keks, um mich willkommen zu heißen und zur Beruhigung. Über Tel Aviv war die erste Rakete niedergegangen.

Die folgenden Nächte verbrachte Bremer auf dem Sofa im Wohnzimmer. Es sind solche persönlichen Geschichten, die die ausführlichen historischen Hintergründe und die politischen Analysen erhellen. Das Eintauchen in den besonderen Glanz Jerusalems kommt dem Journalisten wie eine Taufe vor. Das Sitzen auf einer Bank auf den Resten eines 3.000 Jahre alten Steinbruchs bewegt den promovierten Historiker.

Eine Stadt im Wandel

Aber Jörg Bremers Jerusalem wird immer kleiner, denn alle seine Freunde ziehen weg: Jerusalem wird immer frommer: "Zum Beispiel in dem Quartier, in dem wir gewohnt haben, war es ganz selbstverständlich, dass man am Shabbat Auto fuhr", erzählt der Autor über sein Leben in der deutschen Kolonie.

"Als dann der Chef des Israel-Museums vor acht Jahren in das Viertel ziehen sollte, wurde er schon darauf hingewiesen, dass er das tunlichst lassen solle, am Shabbes Auto zu fahren", so Bremer weiter. "Und mittlerweile ist auch in unserem Häuschen eine orthodoxe Familie eingezogen mit ihren Regeln für Shabbat".

Die zwei Seiten des Jizchak Rabin

Sieben israelische Ministerpräsidenten traf Bremer in seiner Amtszeit. Einmal war er persönlicher Gast des Premierministers Jizchak Rabin in dessen Residenz. Bremer erlaubte sich die Frage, warum Rabin sich so beeilt hätte, die Oslo-Verträge mit der PLO zu unterzeichnen, die später so viele Fehler aufwiesen. Rabin antwortete, er wollte dem Erstarken der Islamisten zuvorzukommen, die sonst einen politischen Konflikt in einen religiösen verwandeln könnten.

"Ich denke schon, dass Rabin derjenige war, der mich am allermeisten beeindruckt hat, und zwar in seiner sehr sonderbaren Art und Weise", erklärt Bremer. "Rabin war einerseits sehr störrisch und abweisend, bisweilen ein absoluter Eigenbrötler. Und auf der anderen Seite konnte er unendlich herzlich sein und Probleme unglaublich präzise und klar verstehen. Und wie immer sind dann die Menschen besonders faszinierend, die in ihrem Leben einen Wandel vollziehen."

Denn als Verteidigungsminister versuchte Rabin, die erste Intifada mit Gewalt zu brechen. Die Soldaten sollten "den Steine werfenden Palästinensern die Knochen brechen", sagte er. Dennoch: Wenige Jahre später erkannte er als erster israelischer Premierminister die PLO an und vereinbarte mit Jassir Arafat den ersten israelischen Rückzug und die palästinensische Selbstverwaltung. 15 Jahre später blickt Bremer auf Arafats Porträt in den palästinensischen Amtsstuben und bewundert die Bemühungen des palästinensischen Premiers Salem Fajad, einen ganz anderen Weg zu gehen - friedlich und transparent.

Die vielen Wege Palästinas

"Ich bin natürlich ein Fan von Salam Fajad zum Beispiel, dem Ministerpräsidenten, der kleinklein von Tag zu Tag versucht eine Staatlichkeit aufzubauen, ohne einen Palästinenserstaat zu haben. Und der, obwohl er von allen korrupten Muftis und Abus und anderen Leuten in der palästinensischen Autonomiebehörde angefeindet wird, seinen Weg weitergeht", erzählt Bremer.

Ob die Palästinenser ihren Staat schließlich bekommen, lässt Bremer offen. Für ihn ist irrelevant, wie viele Staaten Palästina anerkennen, sondern wann die Palästinenser den Krieg zwischen Hamas und Fatah beenden und ihre Führung demokratisch legitimieren lassen.

Aber angesichts der Erweiterung der israelischen Siedlungen bleibt für die Palästinenser wenig Zeit, um die Fundamente eines Staates aufzubauen, stellt Jörg Bremer fest: "Die Chance muss von Riad und vom Iran ausgehen. Wenn sich Sunniten und Schiiten einig wären im arabischen Lager und Druck ausüben würden und es klar machen könnten, dass es nur eine Akzeptanz für die Israelis gibt, wenn sie einen geeinten palästinensischen Partner auf der anderen Seite wüssten, dann könnte es eine Chance auch für die innere Demokratie geben."

Keine Hoffnung auf Frieden?

Aber kann die israelische Führung die Initiative ergreifen, und kann die israelische Armee überhaupt kampfbereite Siedler räumen? Jörg Bremer bezweifelt das, weil immer mehr Siedler Offiziere sind und weil die Israelis ihm Politik verdrossen erscheinen; sie haben jede Hoffnung auf Frieden verloren. Kann Israel überleben, wenn es keinen Frieden mit seinen Nachbarn findet? Jörg Bremer hat große Zweifel.

"Für mich ist Frieden eine unendlich wichtige Kategorie", sagt er, "und als ich nach Israel kam, sprachen alle von Frieden beziehungsweise von einem drohenden Krieg - und wir hatten ja genug Konfliktsituationen im Land und da ist immer noch kein Frieden da, denn die iranische Gefahr schwelt weiter. Aber ich habe nicht den Eindruck, dass das für die Israelis besonders wichtig ist und ich habe nicht den Eindruck, dass es für die israelische Regierung besonders wichtig ist."

Bleibende Impressionen und ein Traum

Jörg Bremers Zeitreise endet in Jerusalem, ganz unpolitisch. Er hat das Buch geschrieben, auch um dieses Kapitel in seinem Leben abzuschließen. Jetzt stellt er fest, dass man Jerusalem zwar verlassen kann, aber die Stadt verlässt ihn nicht. Jetzt berichtet er aus Rom und erinnert sich an seine Lieblingsorte in Jerusalem:

"Ich habe mich im Österreichischen Hospiz sehr wohl gefühlt, nicht nur weil es das älteste Hospiz ist, sondern auch eine spannende Stelle in der Altstadt, wo am Freitag die Christen die Via Dolorosa entlang gehen und die Muslime zum Tempelberg pilgern, aber auch viele Juden aus den ultraorthodoxen Vierteln an die Klagemauer wandern", schwärmt Bremer.

"Auf der anderen Seite bin ich Protestant und deswegen war die Erlöserkirche ein ganz wichtiger Punkt. Aber ich habe immer auch den Platz oben auf der Al-Aksa-Moschee großartig gefunden, zwischen den beiden großen Moscheen, diese Größe, diese Heiligkeit des Platzes, die man nachspüren kann. Und ich muss gestehen, in jüngster Zeit habe ich einen dritten Platz gefunden, die Churva-Synagoge, die von den Jordaniern zerstört wurde und jetzt von den Israelis wieder aufgebaut wurde."

Die Heiligkeit ist da, aber Jerusalem hat ihre Hoffnung verloren, konstatiert Bremer zum Schluss:

Sie leidet unter fanatischen Frömmlern, die den Messias mit Terror und Menschenverachtung herbeizwingen wollen. Heute träumen wir nur noch von der einen offenen Stadt, in der Palästinenser und Israelis gleichzeitig ihre Hauptstadt erkennen können.

Service

Jörg Bremer, "Unheiliger Krieg im Heiligen Land. Meine Jahre in Jerusalem", Nicolai Verlag

Nicolai Verlag - Unheiliger Krieg im Heiligen Land

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