Schüler begleiten statt unterrichten

Das Schweizer "Haus des Lernens"

Ein ungewöhnliches und erfolgreiches Schulkonzept wird seit rund 30 Jahren in der Schweiz umgesetzt. Das so genannte "SBW Haus des Lernens" umfasst Privatschulen vom Kindergartenalter bis zur Maturastufe.

Der Unterricht stellt die individuelle Entwicklung der Schüler in den Vordergrund, die unter anderem durch entsprechend gestaltete Räumlichkeiten gefördert wird. Die so genannte Futura, eine dieser Schulen, begleitet die Schüler im 9. und 10. Schuljahr bei der Auswahl des Berufs oder der weiteren Schullaufbahn.

Kulturjournal, 14.01.2011

Sanfte Jazz-Klänge tönen aus Lautsprechern in den Gängen und Klassenzimmern der SBW Futura in Romanshorn. Die Musik, die die Schüler selbst ausgewählt haben, markiert den Beginn des Unterrichts. Doch eigentlich heißt dieser gar nicht Unterricht, sondern Input, erklärt Englischlehrer John Robinson. Auch die anderen herkömmlichen Begriffe des Schulsystems sucht man hier vergeblich: Schüler werden Lernpartner genannt und Lehrer Lernbegleiter, sagt John Robinson.

Auch in der Betreuung der Schüler unterscheidet sich die Futura von traditionellen Schulen. Die individuelle Entwicklung der Schüler steht im Vordergrund. Sie arbeiten zu einem großen Teil autonom, teilen sich Lerninhalte und Lerntempo selbst ein. Die eigentlichen Stunden, also der Frontalunterricht mit Lehrer, sind nur 30 Minuten lang, erklärt Schulleiterin Mirella Ryser.

Sich nach den Schüler-Bedürnissen richten

Diese Autonomie der Schüler wird durch besonders eingerichtete Räumlichkeiten gefördert. In den Unterrichtsräumen sitzen die Jugendlichen im Kreis, um besser miteinander kommunizieren zu können. Im Lernatelier stehen individuelle Arbeitsinseln zur Verfügung und überall im Haus laden gemütliche Sofas und Sitzecken zum Diskutieren oder Ausruhen ein. Diese "gestaltete Umgebung" ist auf die Bedürfnisse der Jugendlichen zugeschnitten, sagt der Geschäftsführer des Hauses des Lernens, Reto Ammann.

Ein weiterer Grundpfeiler der Schulphilosophie im Haus des Lernens ist der partnerschaftliche Umgang von Lehrern und Schülern. Von Machtausübung oder Einschüchterung will im Lehrer-Schüler-Verhältnis niemand etwas wissen. Was auch dadurch unterstützt wird, dass die Lehrer praktisch den ganzen Tag bei den Schülern sind. Sie haben kein eigenes Lehrerzimmer, sondern bereiten sich inmitten der Jugendlichen auf den Unterricht vor. Sie verbringen mit den Schülern auch Pausen und Essenszeiten, erzählt Englischlehrer John Robinson.

Erfolg bei Lehrern, Schülern und Eltern

Doch kommt bei dieser Wohlfühl-Atmosphäre und Autonomie der Schüler der Lehrstoff nicht zu kurz? Geschäftsführer Reto Ammann verneint. Die Schüler müssten in allen Bildungseinrichtungen des Hauses des Lernens den offiziellen Lehrplan erfüllen. Die Schüler würden nicht weniger, sondern sogar mehr lernen als in traditionellen Schulen, ist Ammann überzeugt.

Tatsächlich scheinen die Schüler im Haus des Lernens ihren Kollegen in anderen Schulen nicht nachzustehen. So haben im Gymnasium des Hauses des Lernens bisher alle Schüler die Zentralmatura bestanden. Auch die Schüler der Futura glauben nicht, dass sie der große Freiraum in der Schule vom Lernen abhält.

Auch bei den Eltern kommt das autonome Lernen ihrer Kinder gut an. So erzählt der Vater der 16-jährigen Janine, Karl Lang, seine Tochter sei in der Futura Schule selbstsicherer geworden.

Wieder klingt Jazz-Musik aus den Lautsprechern. Für einige Jugendliche steht Unterricht auf dem Programm, andere ziehen sich zum Lernen ins Atelier zurück. Eines haben alle gemeinsam: die Schule scheint ihnen Spaß zu machen.

Textfassung: Red.