Canisius-Kolleg war der Anfang

Ein Jahr der Aufarbeitung

Vor einem Jahr wurde die katholische Kirche in Deutschland in ihren Grundfesten erschüttert. Am Canisius-Kolleg der Jesuiten in Berlin wurden die ersten Missbrauchsfälle an ehemaligen Schülern bekannt gemacht. Seit dem sind hunderte Fälle auch in anderen Einrichtungen bekannt geworden - katholischen und auch weltlichen.

Morgenjournal, 29.01.2011

Ruf nach Aufklärung "von außen"

Rund 25.000 mal haben Menschen die eigens eingerichtete Hotline im letzten Jahr angerufen. Menschen, die Missbrauch von Priestern, Patern oder Lehrern in katholischen Einrichtungen erleben mussten. Klaus Mertes hat diese Welle losgetreten. Er ist Rektor der Canisius-Kollegs in Berlin und hat mit einem Brief die Missbrauchsfälle an seiner Schule öffentlich gemacht. Seitdem wird er von vielen als Aufklärer gefeiert - eine Rolle die ihm nicht zustehe, wie er heute findet. Er sei ein Vertreter der Täterseite und gehöre dazu. Die Aufklärung aber müsse von außen kommen.

Tiefe Verletzungen

Bevor es dazu kam, wurden nach und nach andere Fälle bekannt, etwa im bayrischen Benediktinerkloster Ettal. Für besonderes Aufsehen sorgten Misshandlungsvorwürfe gegen den damaligen Augsburger Bischof Walter Mixa: Am 8. Mai nahm der Papst das Rücktrittsangebot von Walter Mixa an. Der kirchlich Beauftragte für die Missbrauchsfälle, der Bischof von Trier, Stephan Ackermann, hat im letzten Jahr zahlreiche Gespräche mit Opfern geführt. Das Erstaunliche dabei: Die Betroffenen seien meist 60 bis 70 Jahre alt und könnten die Geschehnisse schildern, als ob es erst vor kurzem geschehen wäre. "Das lässt erahnen, wie tief die Verletzungen gehen. Das ist erschütternd."

Zentrales Thema

Aber nicht nur in der Kirche wurden Missbrauchsfälle bekannt, auch an weltlichen Schulen, wie zum Beispiel der Odenwaldschule im hessischen Heppenheim - die Schule galt als Vorzeigereformschule. Das Thema hat längst die Mitte der Gesellschaft erreicht, sagt Christine Bergmann. Sie ist ehemalige Politikerin und Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung. Weil die Zahl der Fälle derart hoch ist, hat auch die Bundesregierung eine Stelle für Opfer eingerichtet.

Entschädigung zu gering

Bei Christine Bergmann haben sich seit dem Frühjahr 2010 rund 10.000 Betroffene und Angehörige, aber auch Ärzte und Therapeuten gemeldet. Beim Jesuitenorden waren es rund 200. Der Orden bietet den Opfer eine Entschädigung von jeweils 5.000 Euro an. Für Opfervertreter viel zu wenig. Sie fordern rund 80.000 Euro pro Missbrauchsopfer. Die Diskussion und vor allem die Aufarbeitung ist also noch lange nicht abgeschlossen. Auch nicht, wenn der Papst im September bei seinem Besuch deutschen Boden betreten wird.

Übersicht

  • Sexuelle Gewalt