Unklarheit über Verjährung

Noch kein Schmerzensgeld eingeklagt

Nach wie vor hat es keine Klage gegen die katholische Kirche gegeben. Hauptgrund ist laut der Plattform Betroffener kirchlicher Gewalt, dass die meisten Fälle von Missbrauch und Misshandlungen rechtlich verjährt sind. Ein Experte für Schadenersatzrecht sagt aber, die Verjährung dürfte bei Verfahren um Schmerzensgeld gegen die Kirche keine Rolle spielen.

Mittagsjournal, 10.03.2011

Auf Verjährung verzichten

Wenn ein Fall verjährt ist, kann es keine Verhandlung beim Strafgericht geben. Aber bei zivilrechtlichen Klagen auf Schmerzensgeld greift die Verjährung nicht automatisch. Sondern nur wenn der Beklagte, also die Kirche, auf Verjährung hinweisen würde, sagt der Uni-Professor und Experte für Schadenersatzrecht Christian Huber: "Auf die Verjährungseinrede kann man ja verzichten. Das Gericht wäre nicht berechtigt, das von Amts wegen zu berücksichtigen."

Rückzieher der Kirche

Die Kirche hat aber keinen generellen Verjährungsverzicht abgegeben, bedauert Sepp Rothwangl, der Sprecher der Plattform Betroffener kirchlicher Gewalt. Das und finanzielle Probleme seien die Hauptgründe dafür, dass noch niemand geklagt hat und so noch nicht konkret durch Gerichtsverfahren geklärt werden konnte, wie hoch Schmerzensgeldzahlungen in solchen Fällen sein könnten: "Der geforderte Verzicht auf die Verjährung wurde damals vom Kardinal zugesagt, aber dann kam der Rückzieher. Die Verjährung ist nur in Fällen, bei denen die Klasnic-Kommission tätig ist, aufgehoben", sagt Rothwangl.

Moralisch in der Pflicht

Schadenersatz-Rechtsexperte Huber meint aber, die Kirche wäre moralisch unbedingt verpflichtet, auf eine Verjährungseinrede zu verzichten. Für Richter und Staatsanwälte gelte sogar: Wenn sie geklagt werden und auf Verjährung pochen, dann bekommen sie von ihrer Standesvertretung ein Disziplinarverfahren, sagt Huber: "Das heißt mit anderen Worten, dass ein solches Verhalten als nicht ehrenhaft angesehen wird."

Reaktion der Kirche

Erich Ehn, der Anwalt der Erzdiözese Wien entgegnet, durch die Einrichtung der Klasnic-Kommission und durch Zahlungen an mutmaßliche Opfer habe die Kirche doch die moralische Verantwortung wahrgenommen. Einen generellen Verjährungsverzicht für alle Orden und Diözesen könne Kardinal Christoph Schönborn gar nicht bieten. Außerdem sei in verjährten Fällen oft die Prüfung von Vorwürfen bzw. der Nachweis von Taten nicht möglich: "Dort wo strafrechtliche Verjährung bereits eingetreten ist, lässt sich diese Vorfrage eben nicht mit der notwendigen Sicherheit, die eben das Strafverfahren bietet, klären."

Priester, die bereits Taten eingestanden haben, seien aber nicht gehindert, auf die Einrede der Verjährung zu verzichten, wenn sie persönlich belangt werden. "Es ist ja auch eine Erledigung durch die Klasnic-Kommission oder eine Zahlung seitens der kirchlichen Stiftung. Opferschutz bedeutet ja auch nicht, dass irgendein Rechtsweg abgeschnitten oder verhindert wäre", sagt der Anwalt der Erzdiözese Wien, Erich Ehn.

Ruf nach staatlicher Kommission

Sepp Rothwangl von der kirchenkritischen Plattform hingegen sieht die Klasnic-Kommission als verlängerten Beichtstuhl, durch den die Kirche auch verhindere, dass Informationen über Missbrauchsfälle zumindest anonymisiert an die Öffentlichkeit dringen. Rothwangl fordert nach wie vor eine staatliche Kommission, glaubt aber, dass es ohnehin noch Schmerzensgeldklagen in noch nicht verjährten Fällen geben wird.

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