Ein seltsamer Waldspaziergang

Handkes Erzählung "Der Große Fall"

Keine Saison ohne ein neues Buch von Peter Handke. Im Suhrkamp Verlag erscheint in diesen Tagen "Der Große Fall", eine neue Erzählung des bei Paris lebenden Dichters. Der 69-Jährige meldet sich wieder als reflexiv beschreibender Autor zu Wort.

Kultur aktuell, 11.03.2011

Ein Schauspieler ist der Protagonist in Peter Handkes neuer Erzählung. Vor ein paar Jahren hat er sich von Bühne und Film-Business zurückgezogen. Jetzt steht er kurz vor einem Comeback. Wir begleiten ihn einen Sommertag lang beim "Müßiggehen", wie es heißt, auf seinem Weg querfeldein von einem Haus am Stadtrand durch einen Wald in die Metropole, eine Stadt zwischen den Alpen und dem Meer, mit der wohl Paris gemeint ist.

"Intensive Lektüre"

Der Schauspieler begegnet unter anderem einem seltsamen Waldmenschen, einer Reiterin und einem Läufer, einem Priester und einem Pilzsucher. Er führt Selbstgespräche und denkt nach über die Liebe, über die großen Kriege, das Welttheater und das Gehen.

"Es ist der Gang durch den Stadtwald, den wir schon oft mit Peter Handke gemacht haben", sagt die Literaturwissenschaftlerin Evelyne Polt-Heinzl. "Es ist aber doch jedes Mal wieder ein intensives Erlebnis und eine intensive Lektüre." Eine Lektüre, bei der wir einem Autor mit offenem Blick für soziale Zusammenhänge begegnen. "Der große Fall" ist ein poetischer Befund über den Zustand unserer Gesellschaft.

"Dieser Gang durch den Stadtwald ist auch ein Gang durch die sozialen Deregulierungen unserer Gesellschaft", meint Polt-Heinzl. "Er sieht verstärkt überall die Spuren - er nennt es die 'Aushäusigen' oder 'die endgültig Abgehausten', also die Obdachlosen oder auch die Zuwanderer. Das kann wirklich nur Handke in dieser Form. Das sind kleine Episoden, die eine unglaubliche Dichte entwickeln."

Auf "einer anderen Ebene" schreiben

In grotesken Momentaufnahmen wird da etwa eine zunehmende Aggressionsbereitschaft diagnostiziert, der Fitness- und Freizeit-Kult aufs Korn genommen, oder auch die Begleiterscheinungen einer überalterten Gesellschaft. Was es aber mit dem "großen Fall" auf sich hat, das bleibt bis zuletzt im Dunkeln. Und einmal mehr kommt man dem Handke'schen Werk über die Wiedergabe des Inhalts nicht nahe.

"Das ist ein Autor, der tatsächlich auf einer anderen Ebene schreibt", meint Polt-Heinzl. "Da geht es nie um den Plot, es ist eigentlich immer ein Anschreiben gegen diese Orientierung auf eine erzählbare Geschichte und ein Bekenntnis dazu, dass Literatur eben auch etwas anderes leisten kann."

Mit der Erzählung "Der große Fall" schreibt Peter Handke sein Werkgebäude fort.

Neues gibt es auch über Peter Handke: "eine systematische Relektüre" der Literaturwissenschaftlerin Evelyne Polt-Heinzl unter dem Titel "Peter Handke - In Gegenwelten unterwegs".

Textfassung: Ruth Halle

Service

Peter Handke, "Der Große Fall", Suhrkamp

Evelyne Polt-Heinzl, "Peter Handke - In Gegenwelten unterwegs", Sonderzahl