Thomas Harlan über seinen Vater

Veit

Am 13. April 1964 starb auf Capri Veit Harlan, Schauspieler, Filmemacher, Nazi-Handlanger und Regisseur von "Jud Süß", dem bekanntesten Propagandafilm des Dritten Reiches. Er starb im Kreise seiner Familie - auch seiner Söhne, die, wissend um den bevorstehenden Tod des seit langem herzkranken Vaters, ans Sterbebett geeilt waren.

Darunter auch Thomas, der älteste Sohn. "Mein Sohn, es kann sein, dass ich dich verstehe, auch in deinen Kämpfen gegen mich", wird ihm der Vater zum Abschied sagen.

Filme "für die Deutschen"

Am 16. Oktober 2010, 46 Jahre nach seinem Vater, starb Thomas Harlan im Klinikum Berchtesgadener Land, wo er, seit langem schwer lungenkrank, die letzten Lebensjahre verbrachte und seine letzten Werke schrieb: Werke, mit denen er Licht ins Dunkel der Naziverbrechen zu bringen suchte. Sein letztes Buch hat Harlan junior nicht mehr selbst geschrieben, sondern diktiert: ein Text über den, mit dem er zeitlebens nicht fertig wurde, den Vater, den Fürchterlichen, Berühmten, Unverstandenen und doch Geliebten. "Veit" heißt sein nachgelassener Brief an Veit Harlan: Dokument einer zerrütteten Beziehung.

"Mein Vater war ja kein Nazi", so Thomas Harlan in einem Interview anlässlich des Erscheinens seines großen Romans "Heldenfriedhof". "Das ist ja etwas viel Schlimmeres, was passiert ist. Er stand gut mit den Deutschen. Er hat sie ja für Deutsche gehalten, die Nazis. Für die Deutschen hat er die Filme gemacht, und für die Deutschen war er, wer er war. Und diese Verwechslung zwischen Deutschen und Nazis, die hätte mir nicht passieren können, aber die wäre natürlich die meine geworden, wenn die Zeit so gelaufen wäre."

"Du hast nie mit mir gesprochen, deshalb schreibe ich Dir, Du hast immer nur zu mir gesprochen, deshalb schreibe ich Dir, Du hast nichts gesagt, Du hast nichts als die Unwahrheit gesagt", schreibt Thomas Harlan am Beginn von "Veit", einem 90-seitigen Brief, der durch 60 Seiten mit Anmerkungen und Zeittafel ergänzt wird. Kein streng strukturierter, sondern zwischen Erinnerungsbruchstücken hin- und herspringender Text, eine wilde Mischung aus Huldigung und Klage, Gebet und Verzweiflungsschrei.

Schuld und Scham

Thomas Harlan schreibt über Veits Filme und Familie, über Kriegs- und Nachkriegszeit, und immer wieder über Schuld und Scham und Verantwortung, zu der sich der Alte nie bekannte.

"Ich bin mit der Nase reingestoßen worden in die Wirklichkeit. Von dieser Wirklichkeit habe ich in der Hitlerzeit eine Menge gesehen, viel mehr als andere. Ich wusste Bescheid. Ganz gewiss ist es so, dass als ich gemerkt habe, in welchen Beziehungen zur Verantwortung meine Eltern gelebt haben, wie mein Vater mit dem zurande gekommen ist, was er getan hat während des Krieges, als ich das merkte, wusste ich, dass es eine Katastrophe war, was mir passiert war", so Thomas Harlan in dem Interview weiter. "Ich bin geboren worden in einer katastrophalen Familie. Und mit dieser Katastrophe musste ich nun leben."

Star des NS-Kinos

Thomas Harlan war acht, als er zu einem Besuch bei Adolf Hitler mitgenommen wurde, er war neun, als sich die Eltern scheiden ließen, und zehn, als Veit Harlan den Regieauftrag für "Jud Süß" erhielt. Im September 1940 feierte der Film Premiere bei den Filmfestspielen in Venedig - "ein ganz großer, genialer Wurf. Ein antisemitischer Film, wie wir ihn uns nur wünschen können", schrieb Goebbels im Tagebuch.

Über zwanzig Millionen Zuschauer im Deutschen Reich sahen den Film, der in den Kinos des Ostens regelmäßig vor Liquidationen der Ghettos gezeigt wurde, um die Pogromstimmung in der Bevölkerung anzuheizen. Veit Harlan wurde der unumstrittene Star des NS-Kinos.

"Wenig hat gefehlt, dass ich zu dem ganzen Pack gehört hätte, von dem ich später gemerkt habe, wie sehr ich es hasse", sagte Thomas Harlan. "Die Möglichkeit, zu der anderen Gesellschaft zu gehören, die war gegeben. Alles hatte dafür gesprochen, dass ich in dieser Richtung mich weiterentwickle. Und nur der Umstand des Krieges hat für das Gegenteil gesorgt."

Geschichte voller Widersprüche

"Veit" ist ein irritierendes, ein zwiespältiges Buch, eine Geschichte voller Widersprüche, geprägt von zwei Egomanen, die unversöhnt um Versöhnung rangen - ohne den Panzer aus Stolz und Distanz und Misstrauen je durchdringen zu können.

Da ist der Vater, der es gern gesehen hätte, wenn sich der Sohn freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet hätte, der das Gerücht, der Sohn habe den kleinen Halbbruder missbraucht, streuen lässt, und unterstellt, Thomas sei homosexuell - und den Sohn später enterben wird. Der nach dem Krieg zu Protokoll geben wird, den Jud-Süß-Film nur unter Druck gemacht zu haben, zweimal wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit angeklagt und zweimal freigesprochen werden wird - von einem Richter, der ein strammer Nazi war.

Und da ist der Sohn, der wegen des Vaters Deutschland verlassen und ein Leben als Bohemien, Aufklärer und linker Revolutionär führen wird, der mit Klaus Kinski, mit dem er ein Drehbuch über den jüdischen Genozid schreibt, mit gefälschtem Pass nach Israel reisen wird, in Polen Recherchen über den Aufstand im Warschauer Ghetto durchführen und Material über Kriegsverbrecher sammeln wird, was zu über 2.000 Strafverfahren gegen ehemalige Nazis führt. Er wird mit Kinski ein Münchner Kino anzünden, in dem Filme seines Vaters gespielt werden - und mit dem gleichen Vater bei einem Film und einer Theaterinszenierung zusammenarbeiten.

"Ich habe einen Sohn, (...) der die Beschäftigung mit dem Abscheulichen der Beschäftigung mit dem Schönen vorzieht und mir darob großen Kummer macht", wird der Vater, so jedenfalls steht es in "Veit", über den Sohn äußern. "Mein Vater war ein großer Mann. Er hatte seine Größe hinter sich gelassen", wird dieser Sohn über den Vater als Filmemacher im Nachkriegsdeutschland sagen.

Auch nach dem Krieg Filme gedreht

"Was die Karriere von meinem Vater betrifft, wundert es mich nur, wie er es geschafft hat, nach dem Krieg Filme zu machen"; meinte Thomas Harlan. "Wie kann jemand, der merkt, dass, ganz egal, was er gedacht hat, sein Werk ein Teil der Höllenmaschine wird, mit dem man eine Bevölkerung ausrottet, wie kann man dann noch Vertrauen haben zu dem Beruf. Das ist etwas, das ich nie verstanden habe, dass es ihm möglich war zurückzukehren zur Kamera und zu einem Drehbuch und zu einem Film und alldem, was einmal ins Unglück geführt hat. Ist mir unverständlich gewesen. Mich hätte das so erschreckt, auch wenn ich noch so unschuldig gewesen wäre."

Veit Harlan war ein Künstler ohne Ethos, ein Mann ohne Moral, Vertreter eines Menschenschlags, gegen den der Sohn im Grunde mit seinem ganzen Werk, mit seiner ganzen Biografie Sturm lief. Und dennoch schreibt er ihm eine Liebeserklärung, leidenschaftlich und schwülstig zugleich, pathetisch und ergreifend.

"Geliebter, Weißhaariger, Schneebedeckter, Kopfloser, Verfemter, mit seinen Opfern sich Verwechselnder, seiner eigenen Geschichte Entratener, Wunderbarer, unverzeihlich von seinem Sohn Missachteter", schreibt Thomas Harlan in "Veit", diesem wortmächtigen, exhibitionistischen, phasenweise auch enervierenden Abschieds- und Versöhnungsbrief.

Am Ende wird er, ein verzweifelt um die Vaterliebe Ringender, den nichts glücklicher machte, als die Worte "Mein Sohn" am Sterbebett des Vaters zu hören, diesen Vater anflehen, seine Schuld tragen zu dürfen. "Ich habe Deinen Film gemacht. Ich habe einen schrecklichen Film gemacht. Ich habe 'Jud Süß' gemacht", schreibt der todkranke 81-Jährige. "Ich habe Dich geliebt. Lass mich Dein Sohn sein (...)"

Service

Thomas Harlan, "Veit", Rowohlt Verlag

Rowohlt - Thomas Harlan