Art Spiegelman verarbeitet Trauma

9/11 als Comic

Ins Kino und in die Literatur haben die Terrorattacken des 11. September Eingang gefunden. Die wahrscheinlich persönlichste Sicht auf die damaligen dramatischen Ereignisse hat aber ein Comiczeichner abgeliefert. Nicht irgendein Comiczeichner, sondern einer der renommiertesten Vertreter seiner Zunft überhaupt.

Schöpfer eines Comic-Klassikers

Art Spiegelman hat nicht nur die Graphic Novel mit aus der Taufe gehoben, den Roman in Comicform also, er hat das Genre auch gleich salonfähig gemacht, gewann sein Klassiker "Maus" doch als erstes Comic-Buch 1992 den Pulitzer-Preis. Waren es in "Maus" noch die traumatischen Erlebnisse seines dem Holocaust entkommenen Vaters, die Spiegelman zu Papier brachte, so muss er in seinem neuen Buch mit seinem eigenen Trauma fertig werden.

"Im Schatten keiner Türme", so der Titel seines jetzt auf Deutsch erscheinenden Buches, zeigt den Zeichner nämlich in ganz unmittelbarer Nähe der einstürzenden Türme.

Dem Einsturz entgegen

Schlägt man "Im Schatten keiner Türme" auf, sieht man ein Paar die Häuserschluchten Manhattans hinunter hetzen. Voran die Frau, knapp dahinter, heftig keuchend, der Kettenraucher Spiegelman, der sein Laster verflucht.

"Ich lebe etwa 14 Blocks nördlich von Ground Zero", erzählt er. "Am Morgen des 11. September ging ich mit meiner Frau zu Vorwahlen und wir sahen von der Straße aus, wie der Südturm vom ersten Flugzeug getroffen wurde. Während alle von dort flüchteten, rannten wir aber auf das Inferno zu, weil unsere Tochter seit drei Tagen die High School fast unmittelbar neben dem World Trade Center besuchte und wir sie dort herausholen wollten. Wir bekamen schließlich die Erlaubnis, sie mitzunehmen, zehn Minuten bevor der Nordturm einbrach. Wir waren beim Einsturz also etwa fünf Blocks entfernt."

Glühendes Stahlgerippe

Art Spiegelman hatte damals noch einen Vertrag mit dem Magazin "The New Yorker", für das er regelmäßig Cover entwarf. Umfangreichere Bildergeschichten hatte er seit Jahren nicht mehr veröffentlicht. Als jetzt die Türme des World Trade Center vor seinen Augen einstürzten, begann ihn jedoch ein Bild zu verfolgen, das dann zur Grundlage seines neuen Buchs werden sollte.

"Es war das glühende Gerippe des eingestürzten Turms, so wie wir es von der Straße aus sahen und nicht wie es im Fernsehen gezeigt wurde", so Spiegelman. "Dieses Bild kommt auch in meinem Comic immer wieder vor und war Auslöser für die verschiedensten Gedanken. Einige sind politisch und polemisch, andere sind einfach Anekdoten rund um 9/11. Ich verwendete deshalb auch verschiedene Zeichenstile und so entstand diese Collage, die ein zusammengesetztes Bild davon ergibt, wie es damals in meinem Hirn aussah."

Kritik an Regierung

So wettert Spiegelman über den New Yorker Bürgermeister, der zwar eine kompromisslose Anti-Raucher-Kampagne führt, gleichzeitig aber keine Aufklärung darüber gibt, welche Giftstoffe sich nach 9/11 in der New Yorker Luft befunden haben. Spiegelman, ein harscher Bush-Gegner der ersten Stunde, kritisiert aber auch die damalige Regierung scharf. Da sieht man dann Spiegelman von zwei Figuren bedroht, die eine Osama bin Laden nachempfunden, die andere Präsident Bush. Dazu schreibt er, dass er sich von Al-Kaida und seiner eigenen Regierung gleichermaßen bedroht fühlte.

Solche Ansichten galten aber als antipatriotisch, erzählt Spiegelman, und hatten damals in den U.S.A. nicht die geringste Chance, in Druck zu gehen: "Die Zeit, in der meine Zeichnungen entstanden, zwischen September 2002 und September 2003 also, gehört nicht zu den ruhmreichen Momenten des amerikanischen Pressewesens. Ich fühlte mich damals wie unter Hausarrest oder wie exiliert in der eigenen Stadt. Als ich meine Seiten über die Angriffe der Flugzeugentführer auf das World Trade Center und die anschließenden Angriffe Amerikas auf die Welt veröffentlichen wollte, musste ich deshalb auch nach good old Europe gehen."

Intensive Beziehung zu New York

Die Seiten erschienen schließlich in der deutschen Wochenzeitung "Die Zeit". So sehr Spiegelman darin auch gegen die Politik seiner Heimat wetterte, so sehr wird auch seine intensive Beziehung zu New York spürbar, die ihm damals erst so richtig bewusst wurde: "Die Stadt kam mir damals sehr verletzlich vor und ich empfand eine wirkliche Liebe zu ihr. Ich wollte New York niemals verlassen und auch nicht auf einem Planeten leben, auf dem es kein New York gab. Damals begann ich zu verstehen, warum die Juden nicht fluchtartig Berlin verlassen hatten, als die Nazis die Nürnberger Gesetze erließen. Sie lebten seit Generationen in der Stadt und konnten sich auch kein anderes Leben vorstellen. Anders als Stalin, der die Juden einmal als entwurzelte Kosmopoliten bezeichnet hatte, fühlte ich mich nach 9/11 zum ersten Mal als verwurzelter Kosmopolit."

Gedichte zur Traumabewältigung

Zur Verarbeitung des damaligen Traumas, erzählt Spiegelman weiter, begannen viele New Yorker interessanterweise Gedichte zu lesen. Er selbst zog sich zu den Pionieren seines Genres zurück, denn Spiegelman begann sich plötzlich voller Leidenschaft durch die rund um 1900 erschienen Zeitungscomics zu blättern. Ausschnitte davon bringt er in "Im Schatten keiner Türme" deshalb auch im Nachdruck.

"Mich beruhigte das, diese Zeitungsseiten anzuschauen, die damals nach einem Tag schon wieder Altpapier waren, in das auf dem Markt Lebensmittel eingewickelt wurden", erinnert sich Spiegelman. "In einem Moment, in dem sich die für die Ewigkeit gebauten Türme des World Trade Center als so vergänglich herausgestellt hatten, kamen mir die ebenso vergänglichen Comics von damals als sehr zeitgemäß vor."

Wie auch schon bei seiner Aufarbeitung des Holocaust, dem preisgekrönten Comicbuch "Maus", gelingt es Spiegelman auch mit "Im Schatten keiner Türme" wieder seinen unverwechselbaren Ton zu finden. Einen Humor, der nicht banalisiert, sondern umgekehrt die Wahrnehmung schärft und den Schrecken erst begreiflich werden lässt.

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Art Spiegelman, "Im Schatten keiner Türme", Atrium