Wenn Reisen zur Notwendigkeit wird

Herzens-Bildungs-Reisen

Neues sehen, Schönes erleben, sich selbst finden - mag sein, dass jeder Reisende andere Gründe hat, sich auf eine Reise zu begeben. Allen gemeinsam ist die Konfrontation mit dem Unbekannten. Und der schönste Lohn die Erkenntnis: Es hat sich gelohnt!

Da beschließt ein junger Isländer, endlich etwas zu tun. Nicht mehr nur im Kaffeehaus mit seinen Freunden herumzulungern, sondern eines dieser verrückten Projekte, wie sie so am Boden einer leeren Tasse entstehen, zu verwirklichen. Einmal rund um Island zu fahren. Und zwar genau dann, wenn Island am "isländischsten" ist: im Januar und Februar. Schneesturm? Vereiste Straßen? Papperlapapp!

"Ich will Island werden" ist die Devise des jungen Huldar Breidfjörd. Und so rüstet er einen Jeep Volvo Lappländer aus und begibt sich auf die Reise. Im Uhrzeigersinn rundherum. Lernt seine Insel kennen. Hautnah. Eis, Sturm, Orkan, Schnee, Lebensgefahr, Wärme und Geborgenheit, freundliche und mürrische Menschen. Und sich selber. Seine Ängste, seine Reaktionen, seine Ruhe, seine Zufriedenheit. Und dass Glück nichts mit Haben zu tun hat. Ein wenig davon lernen auch wir Leser - auch wenn wir von den durchdrehenden Reifen auf der Eisplatte am Abhang zum Meer nur lesen.

Studien in Sachen Magie

Nicht so sehr das Eins-werden mit dem eigenen Land, sondern die Einlösung eines Versprechens lockte Tahir Shah auf seine Reise durch Indien. Tahir Shah, Spross einer ostafghanischen Fürstenfamilie, wuchs wie ein ganz normaler Bub in einem netten, kleinen, englischen Dorf auf. Nichts deutete darauf hin, dass er anders als die Nachbarjungen sein könnte, bis eines Tages dieser Paschtune vor der Tür stand, ein Gast aus der Heimat, dessen Vorfahren Kampfgenossen von Tahir Shahs Familie waren.

Er blieb einen Sommer lang, und Tahir, damals elf Jahre alt, wich ihm die ganze Zeit nicht von der Seite. Der Besucher war nämlich so etwas wie ein Zauberer, ein Illusionist genauer gesagt, und er hatte sich bereit erklärt, ein wenig von seinem Wissen an den Sohn seiner Gastgeber weiter zu geben. So lernte der Bub Glas essen, den Arm in kochendes Öl tauchen, glühendes Eisen ablecken und dergleichen mehr. "Mein Vater schaute ungläubig und sichtlich erschüttert zu", erinnert sich Tahir Shah an die abschließende Galavorstellung.

Und dann reiste der Gast ab, und alles schien wie vorher. Bis der Blues, l'Ennui oder die schlichte Langeweile des britischen Stadtlebens den jungen Mann zwanzig Jahre später Richtung Indien trieb, um dort seine Studien in Sachen Magie und Illusionskunst fortzuführen. Und darüber ein Buch zu machen: "Der Zauberlehrling", 1998 fertig gestellt, 2001 in London erschienen, um über das magische Indien zu berichten. Wobei er die absonderlichsten Gestalten trifft: Skeletthändler, Baby-Verleiher, Amateur-Exorzisten und einen mittellosen Milliardär. Und das Ganze so witzig erzählt, dass man beim Lesen unbedingt drauf achten sollte, zufällig Anwesende nicht durch Kicheranfälle und Lachkrämpfe zu beunruhigen.

Mittlerweile hat sich Tahir Shah auf außergewöhnliche Reisen und außergewöhnliche Reisebücher spezialisiert. Wer sonst nimmt schon die Mühe auf sich, in den entlegensten Dschungeln Perus nach den legendären Vogelmenschen zu suchen, an die schon Pizarro nicht geglaubt hat? 2003 als "Trail of Feathers" erschienen. Oder den Gerüchten von Henry Rider Haggard und einigen dürftigen Hinweisen aus der eigenen Familiengeschichte zu folgen, um dem "Schatz des Königs Salomo", den sagenhaften Goldminen, nachzuspüren?

Die Bibliothek der Ojibwe

Übrigens nachspüren: Auch Louise Erdrich machte sich auf die Suche. Sie wollte den Reisenden im Herzen Nordamerikas nachspüren, dort, wo die kanadisch-US-amerikanische Grenze einen Schlenker nach Norden macht. Dort, im Land der Ojibwe, die sich selbst Anishinabe, "die ersten Menschen", nennen, entdeckte sie in den dichten Wäldern und den Inseln der tiefblauen fischreichen Seen Geschichten, Geheimnisse, Felsbilder und ... Bücher!

Das Vermächtnis eines schwächlichen jungen Mannes aus gutem Haus, der einen Sommer lang die kanadischen Seen im Kanu erpaddeln wollte, obwohl alle meinten, er würde diese Strapazen nicht überstehen. Er hieß Ernest Carl Oberholtzer. Er schloss Freundschaft mit den Ojibwe, die ihn Atisokan, Geschichtenerzähler, tauften.

Nach einem sehr ereignisreichen Leben - er wurde 93 Jahre alt und verbrachte seine glücklichste Zeit auf der Insel Mallard im Rainy Lake - vermachte er alles seinen Ojibwe, vor allem seine riesige Bibliothek. Diese "Bücherinsel" war eines der Ziele, der moderne Pol der Ojibwe-Geschichten, die Louise Erdrich auf ihrer Reise durchs Ojibwe-Land ansteuerte.

Der andere Pol waren die Felsbilder, die Geschichten aus der Geschichte des Landes und seiner Bewohner erzählen. Und irgendwo dazwischen entdeckte sie ganz zufällig die Bibliothek, die der indianische Schritsteller Al Hunter für die lesesüchtigen Ojibwe aufbaut.

Reisen bildet. Den Verstand, das Herz und die Seele. Vor allem die Seele.

service

Huldar Breidfjörd, "Liebe Isländer", Aufbau Verlag

Tahir Shah, "Der Zauberlehrling von Kalkutta. Reise durch das magische Indien", Droemer Verlag

Louise Erdrich, "Von Büchern und Inseln", Frederking & Thaler

Tahir Shah
Ernest Carl Oberholtzer
Harper Collins - Louise Erdrich