Freiheit und Zwang der Arbeit

Wir Genussarbeiter

Svenja Flaßpöhler gehört zu den interessantesten Philosophinnen der jüngeren Generation in Deutschland. In den letzten Jahren hat sie sich mit gesellschaftspolitisch brisanten Themen wie Sterbehilfe und der Pornografisierung unseres Alltags auseinandergesetzt. In ihrem jüngsten Buch beschäftigt sie sich mit dem revolutionären Wandel der Arbeitswelt, der immer mehr Menschen ins Burnout führt.

Natürlich, die Arbeit in Müllverbrennungsanlagen und Stahlkochereien ist noch immer nicht das reine Vergnügen. Aber zumindest in Westeuropa gibt es immer mehr Menschen, die ihr Geld im Dienstleistungssektor, in der Wissensarbeit, in den Medien und sogenannten Kreativberufen verdienen. Diesen "Genussarbeitern", wie Svenja Flaßpöhler sie nennt, macht ihre Arbeit - in der Regel zumindest - Spaß. Die Folge: Viele von ihnen sitzen sechzig, siebzig, achtzig Wochenstunden in ihren ergonomischen Stühlen, schlürfen Latte macchiato und hämmern in ihren Mac, ohne zu merken, dass sie auf oft selbstschädigende Weise über ihre Grenzen gehen.

Zwanghafte Lust am Arbeiten

"Ich glaube, dass die Arbeit oder unsere Arbeitswelt eine fundamentale Veränderung insofern durchgemacht hat, als dass Arbeit immer mehr Menschen Lust bereitet", meint Svenja Flaßpöhler im Gespräch. "Wir tun unsere Arbeit gern, wir sind tätig über das erforderliche Maß hinaus, wir verausgaben uns, auch über unsere Kräfte und tun alles, um unsere Arbeit gut zu machen. Und die Frage, die ich mir stelle, ist: Was ist das eigentlich für eine Lust, die uns da am Schreibtisch hält? Ist das eine ekstatische Lust? Oder eher eine exzessive Lust, also eine zwanghafte? Diese Frage ist der Schlüssel für eine kritische Gesellschaftsanalyse: Was für eine Lust verspüren wir, wenn wir arbeiten?"

Flaßpöhlers Antwort fällt eindeutig aus: Es ist tendenziell eine zwanghafte Lust - keine befreiende, sondern eine defizit-orientierte Lust, die uns zum obsessiven Arbeiten treibt. Und welches Defizit soll durch manisches Tätigsein ausgeglichen werden? Ganz klar, so Flaßpöhler: die Sehnsucht nach Anerkennung.

"Ich glaube, dass wir in unserer Gesellschaft eine absolute Schieflage haben, was die Anerkennungsstruktur angeht - dahingehend, dass sich die Arbeitnehmer, im weitesten Sinne Arbeitnehmer, auch freiberufliche, unglaublich verausgaben, dass aber auf der anderen Seite sehr wenig an Sicherheit, an einer ganz fundamentalen Anerkennung zurückkommt", sagt Svenja Flaßpöhler. "Also, es gibt ungesicherte Arbeitsverhältnisse, es ist immer unklar, wie lange man eine Arbeit behält, es gibt Zeitverträge, also, wir müssen uns unglaublich verausgaben, um uns einigermaßen sicher fühlen zu können. Und ich glaube, dass das ganz entscheidend dazu beiträgt, dass die Leute mit einem Burnout in der Klinik landen."

Erfolgsgesellschaft

Letztlich, so Svenja Flaßpöhler, steht das neoliberale Diktum des "Beute dich selbst aus und hab Spaß dabei" hinter der manischen Arbeitslust vieler Zeitgenossen:

"Zu einem ganz großen Teil ist es genau diese Logik, die aber auch wirklich beruht auf der Lust des Einzelnen. Es geht ja nicht nur um Unterdrückungsverhältnisse, sondern wir beziehen daraus ja auch unglaublich viel narzisstische Lust. Zum Beispiel diese plötzliche Anerkennung, die wir erfahren, wenn wir mal in den Medien sind. Das finden ja immer alle ganz toll. Es gibt so punktuelle Anerkennungsboni, die aber letzten Endes nicht wirklich substanziell sind. Wir leben ja nicht nur in einer Leistungsgesellschaft, sondern auch in einer Erfolgsgesellschaft, in der immer auch sehr viel Anerkennung gespendet wird, die aber illusionär ist. Aber die fundamentale Anerkennung, die sich meines Erachtens nach zeigt in gesicherten Arbeitsverhältnissen, aber auch in festen Familienstrukturen, die wird immer brüchiger."

Triebverzicht und Pornografie

In ihrem blendend geschriebenen Buch geht Svenja Flaßpöhler nicht nur der Frage nach, was "Arbeit" bedeutet in Zeiten der postindustriellen Moderne. Sie fragt sich auch, wie es mit der Genussfähigkeit der heutigen "Genussarbeiter" aussieht.

"Ich glaube, es ist mit dem Hedonismus nicht so weit her, wie wir denken", meint sie. "Wir leben in einer prüden und asketischen Gesellschaft, die nach außen hin sehr hedonistisch tut, in Wahrheit aber auf Entsagung beruht. Ein Beispiel ist meinetwegen die Pornografie, die natürlich immer mehr in die öffentlichen Bereiche drängt, und es sieht auf den ersten Blick so aus, als seien wir alle wahnsinnig liberal, aber wenn man mal real kuckt, wie wir Erotik leben und welche Rolle die Erotik in der heutigen Gesellschaft spielt, dann muss man sagen: Das Bild ist eher ein trauriges."

Der Leistungsimperativ unserer Gesellschaft zwinge uns zu ständigem Triebverzicht, diagnostiziert Flaßpöhler, das sei heute nicht anders als zu Zeiten Max Webers und Sigmund Freuds.

Loslassen können

Während die Arbeit vielen zum Genuss wird, wird umgekehrt Genuss vielen zur Arbeit. Stichwort: Wellness-Boom und Schlankhheitswahn.

"Ich glaube, dass der heutige Genussarbeiter ein Problem hat dahingehend, dass er ständig glaubt, etwas tun zu müssen", so Flaßpöhler. "Er muss ständig aktiv sein. Er versteht sich nur durch das, was er aktiv unternimmt. Und was absolut ausgeblendet wird, ist die Tatsache, dass unsere menschliche Existenz sich eben nicht nur über das Tun definiert, sondern auch über das Lassen. Und deswegen endet das Buch auch mit einem Lob des Lassens."

Leicht gesagt, doch schwer getan. Denn es ist gar nicht so einfach, gelassen zu bleiben, wenn rundum alle rotieren. Auch Lassen will gelernt sein.

Service

Svenja Flaßpöhler, "Wir Genussarbeiter - Über Freiheit und Zwang in der Leistungsgesellschaft", DVA

DVA - Wir Genussarbeiter