Analysen und Essays

Occupy! Die ersten Wochen in New York

Mark Greif, beschäftigt bei der New School in New York und eine der Gründer der Kulturzeitschrift "N+1", stellte mit Kollegen die "Occupy"-Gazette auf die Beine, eine Zeitung über und für die Demonstranten. Ein Teil des Buches besteht aus Artikeln der Gazette, ein zweiter aus analytischen Essays.

Samstag, 17. September 2011. Seit Wochen hat Mark Greif die Internetaufrufe zu einem Großprotest in der Wall Street mitverfolgt. Der Literaturwissenschaftler und Essayist rechnete mit mindestens 1000 Demonstranten. Da waren jedoch nur 200 oder 300 Leute. "Ich war enttäuscht", erinnert er sich. "Ich habe mir gedacht, es müsste in den USA doch mehr Zorn, Empörung und Sehnsucht nach Gerechtigkeit geben."

"Als das Camp am dritten Tag noch immer existierte, war ich überrascht", so Greif weiter. "Und dann hörte ich von Freunden, dass es den Leuten da unten auch noch am fünften Tag gut ging. So nach sieben bis zehn Tagen wurde uns - also uns Redakteuren, Journalisten und Autoren - klar, dass wir zum Zucotti Park gehen mussten. Nicht nur um mitzumachen, sondern um alles zu dokumentieren."

Die "Occupy"-Gazette-Reportagen rufen Erinnerungen an die ersten Tage in dem von den Demonstranten besetzten Zucotti Park wach. Die Filmemacherin Astra Taylor hat am 21.September 2011 Folgendes notiert:

Ein Lauffeuer durch die USA

Die "Occupy Wall Street"-Bewegung breitete sich wie ein Lauffeuer in den USA aus. Von Miami in Florida bis Oakland in Kalifornien gingen junge Leute auf die Straße, besetzten Parks und Plätze. Doch die Euphorie dauerte nicht lange. In New York wurde der Park im November geräumt.

"Leider sind fast alle Camps verschwunden", bedauert Greif. "Das ist traurig. Erstaunlicherweise hält sich das Camp in Washington DC noch. Und das ist der Parkbehörde zu verdanken. Anderswo haben die Stadt und die Polizei die Leute entfernt. Die Parkbehörde ist üblicherweise damit befasst, sich um die Blumenbeete und das Gras zu kümmern. Die Demonstraten befinden sich auf Terrain, das die Parkbehörde verwaltet, und diese hat bisher allem Druck, die Leute zu verjagen, widerstanden."

Versuche von Analysen

Außer Reportagen und Stimmungsbildern der ersten Tage und Wochen enthält das Buch auch Analysen. Oder besser gesagt: Versuche von Analysen.

"Das war eine Analyse mitten während des Prozesses; während also alles noch im Gange war. Die meisten analytischen Beiträge befassen sich mit der Geschichte. Es ging dabei um Dinge, die man nicht verstand. Also zum Beispiel: Woher kam die Tradition, dass so viel getrommelt wurde? Oder: Wie verhielt sich die Polizei bei früheren Protestbewegungen? Hat man uns besser oder schlechter behandelt? Einer meiner Ko-Autoren bei der 'Occupy'-Gazette und 'N+1' hat gemeint: Wir brauchen eine gründliche, philosophische Analyse. Wir müssen uns überlegen, was das alles bedeutet, welche Bedeutung 'Occupy Wall Street' für die Zukunft hat. Und wir haben alle gesagt: Für die Antworten auf diese Fragen ist es zu früh. Wir wissen es einfach nicht.

Tief verschuldete Studenten

Für die detaillierte Analyse der gesellschaftlichen Bedeutung der Occupy-Bewegung mag es noch zu früh sein. Doch, so Mark Greif, fast jeder, der sich mit den Protesten auseinandersetzte, konnte um Einsichten nicht herumkommen. Ihm wurde beispielsweise zum ersten Mal die tiefe Verschuldung vieler Bürger klar.

"Da war ein Typ auf dem Broadway mit einem großen Blatt Papier und einem Kugelschreiber. Er hat sich wie ein Jahrmarktschreier benommen", sagt Greif. "Er hat gerufen: Näher treten, bitte, treten Sie näher und schreiben Sie auf, wie viel Geld Sie den Banken schulden. Astra hat erzählt, sie schrieb die Zahl auf, die sie zwar immer im Hinterkopf hat, aber immer verdrängen will. Und das waren 40.000 Dollar. So viel macht noch ihr Studentenkredit aus. Doch hinter ihr war eine hübsche, zierliche junge Frau, blond, vielleicht 23 Jahre alt. Und sie schrieb auf: 100.000 Dollar. Mir sind diesbezüglich wirklich die Augen aufgegangen. Und ich frage jetzt immer meine Studenten, wie viel sie für ihr Studium bezahlen und woher sie das Geld nehmen. Solange wir hier in den USA nicht endlich erkennen, was wir Studenten und Senioren antun und auch was mit der Gesundheitsversorgung alles schief läuft, solange wird es uns nicht wirklich gut gehen."

Was noch getan werden kann

Derzeit hält die Occupy-Bewegung Winterschlaf. Gerüchteweise soll sie im Frühling wieder zum Leben erwachen. Doch so genau weiß das niemand. "Es versetzt mich in Panik, wenn ich daran denke, dass die Bewegung schon vorbei ist", so Greif. "Ich will nicht und hoffe nicht, dass es so kommen wird. Doch derzeit bin ich nicht sehr optimistisch. Ich weiß, dass viele kleine Gruppen in verschiedenen Bereichen aktiv sind. Eine Gruppe bemüht sich beispielsweise darum, Obdachlose in von der Bank beschlagnahmten Häusern unterzubringen. In einer anderen Gruppe diskutieren die Leute auf hohem Niveau über juristische Möglichkeiten, was man gegen das Erkenntnis der Höchstgerichtes, Geldspenden stellten Redefreiheit dar, tun könnte."

Was man noch alles unternehmen könnte, ist am Schluss des Buches, "Occupy! Die ersten Wochen in New York" angeführt. Hier einige Beispiele.

Suhrkamp

Mark Greif u. a. (Hg.), "Occupy! Die ersten Wochen in New York. Eine Dokumentation", Suhrkamp Verlag

Suhrkamp - Occupy!