Zweite Amtszeit mit Schwenk in die Mitte?

Israel vor Neuwahlen im September

In Israel gilt es als sicher, dass am 4. September vorgezogene Neuwahlen stattfinden. Für Sonntag wird die offizielle Ankündigung erwartet. Der rechtskonservative Premier Netanjahu sitzt zwar fest im Sattel, aber er möchte seine Position für eine zweite Amtszeit noch verbessern. Die große Frage wird sein, ob er die Koalitionspartner wechselt und sich mehr zur Mitte orientiert.

Mittagsjournal, 4.5.2012

Aus Tel Aviv,

Ein Jahr früher

Bis vor einer Woche galt in Israel eine innenpolitische Grundannahme: die Regierung von Benjamin Netanjahu ist so stabil, dass sie noch lange halten wird, bestimmt bis nächstes Jahr, wahrscheinlich sogar bis zum regulären Wahltermin im Oktober 2013. Jetzt ist plötzlich alles anders: am Sonntag soll Netanjahu verkünden, dass die Wahlen vorgezogen werden. Und mit dem 4. September, den sich die meisten Fraktionen wünschen, steht auch der Termin inoffiziell schon fest – das heißt also: Wahlkampf in den Sommerferien.

Kein ernster Gegner

Das vordergründige Motiv für den großzügigen Verzicht auf gut ein Drittel der Regierungszeit ist ein Streit zwischen zwei Koalitionspartnern: die Rechtspartei von Außenminister Avigdor Lieberman möchte auch streng religiöse junge Männer zum Wehrdienst verpflichten, die orthodoxen Parteien wollen davon natürlich nichts hören.

Aber Netanjahu schielt bestimmt auch auf die Umfragen, wenn er jetzt den Sprint in die Neuwahlen antritt. Weit und breit ist niemand zu sehen, der ihm das Amt des Premierministers streitig machen könnte. Netanjahus konservative Likud-Partei liegt bei 30 Mandaten und damit um ein Zehntel über ihrem letzten Wahlergebnis.

Opposition nicht gefestigt

Die bisherige große Oppositionspartei Kadima hingegen ist auch nach dem Hinauswurf ihrer Vorsitzenden Zipi Livni weiter im Sinkflug und dürfte gedrittelt werden. Immerhin hat sich die Arbeiterpartei erholt und ist mit rund 18 Mandaten wieder zweitstärkste Kraft - mit der früheren Journalistin Schelly Jachimowitsch haben die Sozialdemokraten nämlich ein frisches Zugpferd.

Und daneben wird die neugegründete Zukunftspartei einiges durcheinanderwirbeln: ihre Führungsfigur ist Yair Lapid, bisher ebenfalls Journalist und populärer Fernsehmoderator. Zulauf im Zentrum ist ihm schon deswegen sicher, weil Lapid sich auf die Religiösen einschießt: „Wir können nicht mehr Zehntausende Religionsstudenten versorgen, die nicht in der Armee dienen und nicht in den Arbeitsmarkt eintreten. Ich bin nicht antireligiös, aber wir können euch einfach nicht mehr finanzieren und können nicht allein dem Land dienen.“

Netanjahus Blick in die Mitte

Auch wenn Netanjahu wohl Regierungschef bleiben wird, könnten die Wahlen etwas verändern. Es ist denkbar, dass Netanjahu nach der Wahl nicht mehr mit der Rechten geht, sondern eine Zentrumskoalition mit der Arbeiterpartei und anderen bildet. Ziemlich klar ist dabei, dass der Wahlkampf nicht mehr wie früher vom Konflikt mit den Palästinensern und sonstigen Nahostfragen dominiert sein wird, sondern von innenpolitischen Themen wie den Lebenshaltungskosten, den Sozialleistungen oder eben dem Umgang mit den Religiösen. Und man kann davon ausgehen, dass ein Präventivschlag gegen den Iran auf Monate hinaus nicht aktuell ist: wenn gerade Wahlkundgebungen stattfinden, Koalitionsverhandlungen geführt werden oder eine neue Regierung sich einarbeiten muss, wird Israel sich wohl kaum auf ein militärisches Abenteuer einlassen.

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