Reise ins Baltikum

Unterwegs in Litauen, Lettland und Estland

Sie sind zusammen mit rund 173.000 Quadratkilometern ungefähr doppelt so groß wie Österreich, bringen es aber auf weniger Einwohner, nämlich gerade einmal auf knapp über sieben Millionen: Die drei baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland mit den Hauptstädten Vilnius, Riga und Tallinn.

Die drei Länder sind ethnisch, kulturell und historisch äußerst verschieden. Den gemeinsamen Sammelbegriff "Balten" verdanken sie der spätlateinischen Bezeichnung für die Ostsee, "Mare Balticum". Und dennoch bilden sie aufgrund ihrer geografischen Lage und der gemeinsamen politischen Geschichte als ehemalige Sowjetrepubliken eine Art Dreigestirn im Nordosten Europas. Zumindest werden sie gefühlsmäßig gerne dorthin verortet, rein geografisch gesehen ist das ein Irrtum. Der Mittelpunkt des Kontinents befindet sich keine 30 Kilometer nördlich der litauischen Hauptstadt Vilnius.

Die drei Schwestern

Einig waren sie sich bei ihrem Wunsch, das Joch der Herrschaft der Sowjetunion abzustreifen. Das gelang ihnen Anfang der 1990er Jahre auch. Einigkeit herrschte auch bei dem Wunsch, Mitglieder der Europäischen Union zu werden. Dieses Ziel erreichten sie am 1. Mai 2004. In manchen Punkten kommen die drei Schwestern oder Halbschwestern, wie sie auch genannt werden, aber doch auf keinen grünen Zweig. Alleine die Sprachen sind ein beredtes Unterscheidungsmerkmal. Während Litauisch und Lettisch zur indoeuropäischen Sprachfamilie gehören, ist Estnisch eng mit dem Finnischen und etwas entfernter mit dem Ungarischen verwandt.

Um sich untereinander zu verständigen, müssen die Balten also zu Fremdsprachen greifen. Die jüngere Bevölkerung wählt dabei meist Englisch, die Älteren haben aufgrund der Zeitgeschichte auch noch das Russische im Talon. Weitgehend verschwunden ist im Alltag hingegen die deutsche Sprache. Zwar waren vor allem in Lettland und Estland über Jahrhunderte deutsche Adelsgeschlechter und Handelsfamilien zuhause, ihre Geschichte aber mit der Absiedlung bzw. Vertreibung fast aller Baltendeutschen im Zuge des Zweiten Weltkriegs zu Ende.

Alle drei Kleinstaaten können trotz aller Engräumigkeit aber auch mit weitläufigen, oft weitgehend unberührten Naturlandschaften aufwarten. Die Bevölkerung gilt als extrem naturverbunden, auch Naturreligionen spielen bis heute eine Rolle.

Modernes Vilnius

Die Hauptstädte haben sich in den vergangenen Jahren von sowjetischen Provinzstädten zu pulsierenden EU-Metropolen gemausert. Da gibt es einmal die Barockstadt Vilnius mit ihren vielen Kirchen. Stolz pflegt sie ihre Wahrzeichen zu präsentieren: den Gediminas-Turm, den Berg der drei Kreuze und das Tor der Morgenröte. Renaissance und Klassizismus haben in der Stadt an der Neris ebenfalls ihre Spuren hinterlassen. Aber auch die Sowjetunion. Über die Schrecken der Diktatur informiert ein Museum im ehemaligen Gefängnis des früheren Geheimdienstes KGB.

An die Schrecken des Zweiten Weltkriegs mahnen auch Holocaust-Gedenktafeln im ehemals jüdischen Viertel. Dass in Vilnius heute aber ein ganz anderer Wind weht, beweisen die Bewohner der "unabhängigen" Künstlerrepublik Uzupis, deren Namen treffenderweise "über dem Fluss bedeutet."

Riga, das "Paris des Nordens"

Knapp 300 Kilometer trennt Vilnius von Lettlands Hauptstadt Riga. Mit über 700.000 Einwohnern ist die frühere Hansestadt das größte Ballungszentrum im Baltikum. Während das barocke Vilnius eine gewisse Pummeligkeit niemals abgelegt hat, präsentiert sich Riga allein durch seine Lage beim Meer als weltläufige Metropole, die vor allem im Sommer eine pulsierendes Kultur-, Mode- und Lokalszene aufzuweisen hat.

Wie in Vilnius und Tallin wurde auch in der Stadt an der Daugava die Altstadt zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt. Sie gilt als Juwel mit altem Schloss, stolzem Dom und gediegenen Handels- und Gildenhäusern, aus denen das Schwarzhäupterhaus hervorsticht, das lange Zeit sowohl den Kaufleuten als auch der vorwiegend deutschen Bürgerschaft Rigas für Zusammenkünfte gedient hatte. 1941 im Zweiten Weltkrieg zerstört, wurde es erst in den 1990er Jahren wieder rekonstruiert.

Zur Eleganz Rigas, das auch "Paris des Nordens" genannt wird, tragen auch mehr als 800 Jugendstilhäuser bei. Damit hat die Stadt weltweit die höchste Dichte an solchen Bauten. Nach den Zeiten der Hanse durchlebte Riga aber auch schmerzhafte Epochen: Polen, Schweden und Russen stritten häufig um die Stadt. Krieg und Totschlag kamen dabei nicht zu kurz. Auch die Nazi-Deutschen schrieben sich höchst unrühmlich in die Stadtgeschichte ein, die Gedenkstätte Salaspils vor den Toren der Stadt erinnert an die vielen Opfer des dortigen Konzentrationslagers.

Die UdSSR wiederum hat ihre Spuren nicht nur in Form des einen oder anderen Monumentalbaus mit stalinistischem Charme hinterlassen, vielmehr gibt es auch noch eine bedeutende russische Community, die über ein Viertel der Bevölkerung stellt.

In Riga befindet sich aber auch der Ort, wo Lettland wohl am lettischsten ist: Das kleinen Museums zu Ehren des Volkskundlers Krisjanis Barons ist eine Gedenkstätte für den 1923 verstorbenen Forscher. Er sammelte und systematisierte die Dainas, die lettischen Nationallieder, die auch bei der singenden Revolution in den 1990er Jahren eine Rolle spielten.

Mittelalterliches Tallinn

Weitere 310 Kilometer weiter nordwärts befindet sich die estnische Hauptstadt Tallinn, die bis 1918 auch Reval genannt wurde. Eine Legende erzählt, dass jedes Jahr in einer dunklen Herbstnacht ein hässliches grünes Männchen aus dem am südlichen Stadtrand gelegenen Ülemistesee steigt und den Stadtwächter fragt, ob denn Tallin schon endlich fertiggestellt sei. Der Wächter tut gut daran, dem ungebetenen Gast ein entschiedenes "Nein" entgegenzuschleudern, bei einem "Ja" würde das Männchen die Stadt nämlich mit dem Seewasser überfluten und vernichten.

Gottseidank ist ein "Nein" keineswegs eine fromme Lüge, denn gebaut wird in Tallinn immer und überall. Einerseits ist die Stadt in den vergangenen Jahrzehnten deutlich angewachsen - davon zeugen Plattenbauten, die noch den verblichenen Traum vom sozialistischen "Schöner Wohnen" erahnen lassen, ebenso wie schicke Neubauviertel, die teilweise auf alten Gewerbegeländen entstanden sind. Aber auch die Altstadt wurde mächtig herausgeputzt.

Dabei hatten die Tallinner Glück im Unglück gehabt: Die mittelalterliche Substanz des historischen Zentrums bröckelte während des Kommunismus zwar weitgehend vor sich hin, sie wurde aber in den 1960er oder 70er Jahren auch nicht vom unbändigen Fortschrittsgeist kaputtrenoviert, wie das andernorts oft der Fall war. So könnte innerhalb der mächtigen Stadtmauern jederzeit ein mittelalterlicher Kostümschinken gedreht werden, ohne dass größere Adaptionen notwendig wären. Dabei ist auch die Moderne längst in Europas Kulturhauptstadt von 2011 angekommen. Sie gilt als Surferparadies, kaum wo sind IT und Internet im Alltag so präsent wie hier.

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