Kreis an Vertrauenspersonen gefordert

Behindertenvertreter: Sachwalter abschaffen

Behindertenvertreter fordern die schrittweise Abschaffung der Sachwalterschaft und "ein Ende der Entmündigung" von behinderten und psychisch kranken Menschen in Österreich. Die Zahl der Sachwalterschaften stieg in 5 Jahren von 40.000 auf fast 60.000.

Morgenjournal, 4.6.2012

"Besachwaltet" statt entmündigt

Früher wurden behinderte oder psychisch kranke Menschen entmündigt. Und de facto habe sich daran wenig geändert, findet Bernadette Feuerstein, die Vorsitzende des Behinderten-Dachverbands "Selbstbestimmt Leben". Jetzt würde es besachwaltet heißen. Tatsächlich passiere aber das Gleiche, sagt Feuerstein. Die Betroffenen "werden entmündigt und es wird ihnen ihr freier Wille genommen."

"Dramatische Änderung" nötig

Marianne Schulze, Vorsitzende des Monitoring-Ausschusses zur Einhaltung der Behindertenrechtskonvention, sagt, dass die Sachwalterschaft in ihrer jetzigen Form nicht der Menschenrechtskonvention entspreche. "Es muss zu einer dramatischen Änderung kommen, die die Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen möglich macht", sagt Schulze.

Vorbilder gibt es in Kanada und Schweden. Das Modell heißt "unterstützte Entscheidungsfindung". Es sieht vor, dass etwa bei Entscheidungen über das Vermögen eines Menschen mit Behinderung, über seinen Wohnort oder die Betreuungsform mehrere Personen den Willen des Betroffenen ergründen. Auch in Österreich soll der Sachwalter durch einen Kreis von Vertrauenspersonen ersetzt werden, fordert Schulze. Diese Vertrauenspersonen, die die Person mit Behinderungen oder psychischen Beeinträchtigungen aus ihrem Alltag heraus kennen, können diese in ihrer Selbstbestimmung unterstützen, wünscht sich Schulze.

Auch Menschen mit schweren Behinderungen und Sprachbehinderungen können ihren Willen kundtun, sagt die Vorsitzende des Monitoring-Ausschusses zur Einhaltung der Behindertenrechtskonvention. Für manche Betroffene könne schon jetzt das Modell "unterstützte Entscheidungsfindung" umgesetzt werden. Mittelfristiges Ziel müsse sein, dass behinderte Kinder, keinen Sachwalter mehr bekommen, wenn sie erwachsen werden.

Gesellschaftliches Problem für Anstieg verantwortlich

Dass die Sachwalterschaften in den vergangenen 5 Jahren von 40.000 auf 60.000 gestiegen sind, könne nichts damit zu tun haben, dass sich die Menschen so verändert haben, meint Bernadette Feuerstein von "Selbstbestimmt Leben". Es gebe ein gesellschaftliches Problem. "Wenn jemand etwas schwieriger oder unbequemer wird, dann wird er gerne abgeschoben in dem Sinn, dass er eben auch besachwaltet wird."

Aber wäre das neue Modell mit mehr Unterstützern nicht teurer? Nein, glauben die Behindertenvertreterinnen, man könne sich Kosten für Sachwalter aber auch für Richter und Gerichtssachverständige ersparen. Und auch dass im Sachwalterrecht ohnehin vorgesehen ist, dass das Selbstbestimmungsrecht und der Wille der Betroffenen berücksichtigt werden müssen, lässt Marianne Schulze nicht gelten.

Justiz-Sektionschef: Andere Themen sind vorrangig

Aus der Sicht des zuständigen Justiz-Sektionschefs Georg Kathrein hingegen entspricht die Sachwalterschaft der Behindertenrechtskonvention. Der Sektionschef hat zwar Sympathie für das Modell "unterstützte Entscheidungsfindung" aber keine Eile mit einer Gesetzesänderung. Andere Themen seien vorrangig, sagt er und hält eine Änderung beim Sachwalterrecht erst in der nächsten Legislaturperiode für realistisch.

Übersicht