Indien gehen Licht und Luft aus

Indien galt bisher als Boom-Land. Vor einer Woche aber wurde die aufstrebende Wirtschaftsmacht ein bisschen entzaubert - durch einen Stromausfall. Der Blackout steht nicht nur für tote Leitungen, er hat auch deutlich gemacht, dass Indien noch viel nachholen muss. Auch das Wirtschaftswachstum lässt langsam nach.

Mittagsjournal, 11.8.2012

"Indien pendelt sich ein"

Ungebrochenes Wirtschaftswachstum, damit ist Indien jahrelang assoziiert worden. Heuer aber verzeichnet das Ursprungsland von Tee und Kurkuma deutlich langsamere Fortschritte. Laut Schätzungen soll die Wirtschaft in Indien heuer um rund sechs Prozent wachsen. Für europäische Verhältnisse wäre das erstklassig, im Vergleich zu den vergangenen Jahren zeigt sich aber eine Bremswirkung. Üblich waren bisher zwischen acht und neun Prozent.

Trotzdem sei der Aufschwung noch nicht vorbei, sagt Shanay Hubmann, stellvertretende Wirtschaftsdelegierte in Indien: "Ich würde nicht sagen, dass der Boom vorbei ist. Ich glaube, dass Indien gerade beim Einpendeln ist." Einpendeln bedeutet auch: Nachholen. Gerade die Infrastruktur ist in Indien schlecht, wie der Stromausfall jüngst bewiesen hat.

Sorgenkind Energiesektor

Viele Regionen in dem Land, das sechsmal so groß ist wie Frankreich, haben noch gar keinen Anschluss. In den Großstädten kommt die Stromversorgung nicht mit dem Bevölkerungswachstum mit. Die vorhandenen Stromnetze sind veraltet. Für eine aufstrebende Wirtschaftsmacht sei das problematisch: "Das Industriewachstum ist enorm gefallen und das liegt einfach daran, dass es keinen Strom gibt", meint Hubmann.

Im Energiesektor munkelt man außerdem von einer Blase, die bald platzen könnte. Denn viele indische Banken sitzen auf faulen Krediten von überschuldeten Stromerzeugern. Die Stromerzeuger können ihre Kredite nicht zurückzahlen, weil ihre Abnehmer, die staatlichen Netzbetreiber, nur selten die Rechnungen bezahlen. Im Energiesektor drohen daher 90 Prozent der Kredite auszufallen, das wären 130 Milliarden Euro.

Abkehr von der Landwirtschaft forciert

Neben der Energie hat Indien derzeit noch ein zweites Problem, die drohende Dürre. Die Mehrheit der 1,2 Milliarden Inder ist von der Landwirtschaft abhängig. Der Monsunregen hat heuer erst spät begonnen und es regnet wenig. Viele Menschen rechnen mit einer schlechten Ernte. Für die vielen Kleinbauern kann das zur existenziellen Bedrohung werden. Die Regierung will daher die Abhängigkeit von der Landwirtschaft auflösen und die Industrie stärken. Die hat derzeit einen Anteil von 15 Prozent an der Wirtschaftsleistung. In den nächsten Jahren soll der Anteil auf ein Viertel steigen.

Wichtig sind dabei ausländische Investoren. Die seien aber gerade gar nicht glücklich in Indien, sagt Wirtschaftsdelegierte Hubmann: "Indien hat sehr stark an Selbstbewusstsein gewonnen und das hat natürlich auch mit sich gebracht, dass das Investitionsklima derzeit nicht sehr freundlich ist." Ausländische Firmen kämpfen vor allem mit steuerlichen Nachteilen, die Investitionen sind daher zurückgegangen. Der neue indische Finanzminister hat bereits Reformen angekündigt. Im Vergleich zu anderen Schwellenländern entwickele sich Indien laut Hubmann aber gut und das werde auch in Zukunft so bleiben; vorausgesetzt, das Land schaffe die nötigen Reformen.