Seidl über Erfolg und Provokation

Im Ö1-Interview spricht Ulrich Seidl über seinen in Venedig ausgezeichneten Film "Paradies: Glaube" und wie er zum Verstörenden, zum Skandal steht. Auch die politische Bedeutung des österreichischen Films sowie die Filmförderung hierzulande thematisiert er.

Morgenjournal, 10.9.2012

Der österreichische Filmemacher Ulrich Seidl im Gespräch mit Andrea Maiwald

"Kunst muss immer hinterfragen"

Der österreichische Filmemacher Ulrich Seidl spricht über die Skandalvorwürfe, die Medien auch gegen seinen aktuellen Film "Paradies: Glaube" erhoben werden: "Es ist ja natürlich zum einen so, dass die Medien gern auch den Skandal haben. Zum anderen muss man sich schon fragen: Was ist denn der Skandal? Es geht hier um den Vorwurf der Blasphemie von einer ultrakonservativen katholischen Vereinigung, die – so nehme ich an –, den Film nicht einmal gesehen hat. Es geht speziell um eine Szene, und zwar um eine Masturbationsszene mit dem Kreuz. Diese Szene ist explizit gar nicht dargestellt, sondern findet in den Köpfen der Zuschauer statt und ist auch im Sinne der Filmhandlung und der Figur des Films eigentlich ganz richtig gedacht. Man kann ja nicht hergehen und ein Stück aus dem Film herausnehmen und schreien: Das ist ein Skandal!"

Eine Forderung beim Bachmann-Preis lautete Literatur muss verstören. Das gilt für Seidl auch beim Film: "Meine Filme verstören mitunter immer wieder. Ich glaube, dass Film nicht verstören muss, aber Film sollte auch nicht den Ist-Zustand bestätigen. Kunst muss immer hinterfragen, Kunst soll nichts beschönigen. Kunst ist dazu da, die Menschen und Zuschauer auf etwas aufmerksam zu machen und ihnen Stoff zu geben, über Eigenes oder über unsere Gesellschaft nachzudenken."

Das Ungewöhnliche im "Normalen"

Doch Provokation sieht er nicht als Teil seines Erfolgs und führt aus: "Nein, nachzudenken, wie ich provozieren könnte, würde viel zu kurz greifen und da würde man sehr schnell entlarvt werden. Meine Filme provozieren immer wieder, aber in dem Sinn sozusagen, dass sie eigentlich etwas Alltägliches, etwas Normales zeigen. Aber dieses Normale ist sehr oft eben etwas, wo man nicht gern hinschaut. Es sind gewisse Wahrheiten, die man selbst sich nicht gerne eingesteht und das provoziert halt – aber das ist auch gut so, glaube ich, weil man dadurch aufgefordert wird, sich immer wieder selbst zu hinterfragen. "

So normal ist in seinen Filmen das "Normale" dann auch wieder nicht, immerhin überzeichnet Ulrich Seidl stark. Er erklärt: "Ich versuche natürlich mit noch nicht dagewesenen Bildern etwas zu erzählen, meine Filme sind ja sehr visuell. Und ich versuche natürlich damit auch den Zuschauer aus einer anderen Sicht, aus meiner Sicht, visuell etwas mitzugeben und auch etwas Ungewöhnliches zu zeigen."

Körperlichkeit als Thema der "Paradies"-Trilogie

Der dritte Teil seiner "Paradies"-Trilogie hat den Titel "Hoffnung". Seidl umreißt über die Handlung: "Es geht um ein 13-jähriges Mädchen, das übergewichtig ist und die Ferien auf einem Diät-Camp verbringt. Und in dieser Zeit verliebt sie sich in einen für sie viel zu alten Mann. Und das geht dann nicht sehr gut. Aber auch bei diesem Film geht es um Körperlichkeit von Frauen, wie schon beim ersten Film, bei Theresa, die ja nach Kenia geht um dort sozusagen einen schwarzen Liebhaber zu finden. Die Filme nehmen ja immer auf diese Körperlichkeit Bezug, das sind ja drei Filme über drei Frauen."

Den Filmpreis, den er in Venedig bekommen hat, sieht der Regisseur aber nicht als Berlinale-Ticket zur für den dritten "Paradies"-Teil, da jeder Film einzeln von einer Auswahlkommission beurteilt werde.

"Österreichicher Film unglaublich erfolgreich"

Michael Haneke fand es peinlich, dass Kulturministerin Claudia Schmied in Cannes gefehlt hat. In Venedig war sie. Doch Seidl relativiert: "Die Ministerin war ja nicht bei meiner Filmpremiere in Venedig, sondern sie war bei der Eröffnung des Österreich-Pavillons der Architektur-Biennale, wo ich sie auch getroffen habe. Was natürlich wichtig ist und was Haneke gemeint hat, ist, dass die Präsenz der Politiker natürlich auch den Stellenwert des österreichischen Films hervorhebt und das ist ganz wichtig. Der österreichische Film ist international unglaublich erfolgreich und das ist bei der Bevölkerung noch nicht angekommen. Das muss auch in den Köpfen der Politiker einmal landen."

Was natürlich zum Thema Filmförderung führt. Ulrich Seidl sieht hier Handlungsbedarf: "Von innen betrachtet hat sich nicht so viel getan, es geht ja immer wieder ums Geld. Leider ist Film ein sehr teures Medium und leider ist immer auch zu wenig Geld da, vor allem auch für den Nachwuchs. Insofern wäre es politisch eine Katastrophe, wenn man nicht darauf schauen würde, das weiterzuentwickeln."

Lust auf einen politischen Film hat Seidl nicht, weil seine Filme ohnehin nicht rein Privates darstellten, wie er sagt: "Meine Filme sind und waren immer politisch. Meine Filme erzählen zwar sehr Privates, aber das Private ist ja oft politisch."

Service

"Kulturmontag", heute, 22:30 Uhr, FS 2: "Löwen-Anteil: Erfolg für Ulrich Seidl"

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