Georgien: Konfrontation vor Wahl

Die Parlamentswahl in Georgien am kommenden Montag ist eine Richtungsentscheidung für das Land. Vor neun Jahren ist die Elite rund um Präsident Saakashvili in der "Rosenrevolution" an die Macht gekommen. Doch die massiven Demonstrationen der letzten beiden Wochen deuten darauf hin, dass Saakashvili die Lektionen von damals vergessen hat.

Mittagsjournal, 29.9.2012

Protest durch Foltervideos angefacht

"Sakartvelo" - Georgien - rufen die Demonstranten, die seit zwei Wochen durch die Innenstadt von Tiflis ziehen, manchmal hunderte, manchmal zehntausende. Seit die Videos aufgetaucht sind, die belegen, dass Häftlinge in georgischen Gefängnissen brutal gefoltert werden, lässt der Zorn der Menschen nicht mehr nach, etwa der Studentin Tekla: "Ich unterstütze keine dieser Parteien, aber wir wollen, dass die Zeit zu Ende geht, in der Sadisten und andere furchtbare Menschen unser Land regieren."

Demokratischer Machtwechsel angestrebt

Er ist der Herausforderer: Bidzinda Ivanishvili, sein Vermögen von geschätzten sechs Milliarden Dollar ist halb so groß wie die gesamte georgische Wirtschaftsleistung. Vor einem Jahr hat er die politische Bühne betreten. Sein Ziel: Die Regierung Saakashvili, die seit der Rosenrevolution vor neun Jahren eine Art Monopol auf die Macht erarbeitet hatte, zu stürzen - auf friedliche Weise: "Wir werden auf keinen Fall unter keinen Umständen zu Konfrontation aufrufen. Wir werden Saakashvilis wahres Gesicht zeigen, auf demokratische Weise, und wenn er nicht zu Recht und Gesetz zurückkehrt, wird er sich selbst zerstören."

Vom Erfolgskurs abgekommen

Die erste Amtszeit von Präsident Michail Saakashvili nach der Rosenrevolution sorgte international für Aufsehen. Innerhalb kurzer Zeit gelang es ihm und seiner Mannschaft, die überwiegend aus jungen Exilgeorgiern bestand, aus einem gescheiterten rückständigen und armen Land einen Vorzeigestaat zu machen. Die Korruption im Beamtenapparat ist praktisch ausgelöscht, das erkennen sogar seine Gegner an, auch wirtschaftlich ist Georgien unter Saakashvili eine Erfolgsgeschichte. Doch mit seinem Konfrontationskurs gegen Russland unter Wladimir Putin machte er sich mächtige Feinde. Seit dem Krieg um die abtrünnigen Regionen Südossetien und Abchasien im Jahr 2008 driftet Saakashvili immer stärker in Richtung einer autoritären Führung. Gegner werden schikaniert, schon bei der letzten Präsidentschaftswahl hatten ausländischen Beobachter Bedenken geäußert. Der Westkurs des Landes geriet ins Stocken.

Aufgestaute Unzufriedenheit

Durch den Folterskandal kommt Unzufriedenheit zum Ausdruck, die sich schon lange angestaut hat. Jetzt richten sich alle Blicke auf Multimilliardär Ivanishvili: "Er ist kampferprobt, hat sein Geld in den wilden 90er-Jahren in Russland gemacht. Er ist ein guter Wahlkämpfer und, ich denke, eine wirkliche Bedrohung für die Regierungspartei", sagt der Politologe Alexander Rondeli von der Stiftung für internationale Studien in Tiflis.

Erzfeind als Vorbild?

Und wer die Parlamentswahl gewinnt, der gewinnt auch die Macht im Land, wenn auch nicht gleich: Kommendes Jahr tritt eine neue Verfassung in Kraft, gemäß der die wichtigsten Kompetenzen vom Präsidenten auf den Premierminister übergehen. In Tiflis war lange gemunkelt worden, dass Saakashvili, der kommendes Jahr nicht mehr als Präsident kandidieren darf, einfach den Platz tauschen wollte, um weiter starker Mann zu bleiben - ähnlich wie sein Erzfeind Wladimir Putin in Russland. Die Unruhen der letzten Wochen dürften diesem Plan aber einen Strich durch die Rechnung machen.