Obsorge neu: Weiter heftige Kritik

Das Familienrechtspaket und die neuen Obsorgeregelungen sollen schon Anfang Dezember im Parlament beschlossen werden. Aber noch immer gibt es heftige Kritik am Entwurf: Väterrechtler kritisieren, dass weiterhin sogar bei gemeinsamer Obsorge ein Elternteil mit den Kindern ins Ausland übersiedeln könne - ohne Zustimmung des anderen Elternteils. Auch Rechtsanwälte und Richter sehen das kritisch.

Morgenjournal, 19.11.2012

Kindesentziehung legitimiert?

Das Recht der Kinder auf beide Elternteile steht neuerdings in der Verfassung, sagen Väterrechtler. Und trotzdem sehe der Entwurf zum Kindschafts- und Namensrechts-Änderungsgesetz vor, dass sogar bei gemeinsamer Obsorge von Vater und Mutter ein Elternteil mit den Kindern übersiedeln kann - ohne Gerichtsbeschluss oder schriftliche Zustimmung des anderen Elternteils, innerhalb von Österreich, aber auch ins Ausland. Und zwar kann das jener Elternteil tun, bei dem unabhängig von der gemeinsamen Obsorge der hauptsächliche Betreuungsort des Kindes festgelegt wurde. Diese Festlegung soll künftig verpflichtend sein. Die Interpretation von Martin Stiglmayr von "Väter ohne Rechte": "Eine Legitimierung der Kindesentziehung ist es nicht, aber es ist de facto trotzdem die Möglichkeit dazu." Nicht betroffen sind nur Kinder von verheirateten Eltern.

Auch Experten skeptisch

Auch die Rechtsanwaltskammer schreibt in ihrer Stellungnahme zum Entwurf: Es sei nicht nachvollziehbar, dass bei gemeinsamer Obsorge vor einer Wohnsitzverlegung ins Ausland nicht die Zustimmung des anderen Elternteils oder eine Gerichtsentscheidung nötig ist. Skeptisch ist auch Familienrichter-Sprecherin Doris Täubl-Weinreich: "Es gibt Fälle, wo es durchaus sinnvoll ist, dass die Mutter beispielsweise in ihr früheres Heimatland zieht, weil sie hier überhaupt keine Existenz hat. In anderen Fällen ist es aus meiner Sicht nicht okay, wenn die Mutter das Kind nimmt und zum Beispiel zu einem neuen Lebenspartner zieht, der am anderen Ende der Welt lebt."

Aber eine Anzeige des Vaters wegen Kindesentführung in einem derartigen Fall wäre trotz gemeinsamer Obsorge künftig wohl aussichtslos, meint Täubl-Weinreich: "Außer man sagt, es ist eine Gefährdung des Kindeswohls." Etwa, wenn die Übersiedlung in ein Kriegsgebiet erfolgen soll.

Sorge vor Richterüberlastung

Dem Vernehmen nach soll das SPÖ-geführte Frauenministerium auf die Regelung bestanden haben. Allerdings wird sie auch vom ÖVP-geführten Justizministerium verteidigt. Dort heißt es, es stehe doch auch im Gesetzesentwurf, dass die Eltern soweit möglich einvernehmlich die Obsorge wahrnehmen sollen. Und eine Übersiedelung als Nacht- und Nebelaktion könne man doch gegebenenfalls auch als Kindeswohlgefährdung sehen. Außerdem habe man den Richtern die Arbeit ersparen wollen, über zahlreiche derartige Übersiedlungen entscheiden zu müssen. Aus Familienrichtersicht sind in dem Gesetz allerdings andere allzu aufwendige Regelungen enthalten, dass trotz versprochener Personalaufstockung um 20 Richter mit massiver Arbeitsüberlastung der Gerichte zu rechnen sei.