Brian Clegg zerlegt uns
Die Vermessung des Körpers
Nichts ist dem Menschen so nah, wie der eigene Körper und dennoch steckt er voller Rätsel. Und das nicht nur, weil er zu groß, zu klein, zu dünn, zu dick scheint oder mit anderen vermeintlichen Schwächen auffällig wird, sondern ganz einfach weil er das "faszinierendste System ist, das die Evolution hervorgebracht hat".
8. April 2017, 21:58
So sieht das zumindest der britische Wissenschafts-Autor Brian Clegg in seinem neuen Buch "Die Vermessung des Körpers". Darin unternimmt er eine Expedition durch den eigenen Leib und ergründet unglaubliche Phänomene von der Biochemie der Liebe bis zur Funktionsweise der fünf Sinne.
Haarige Angelegenheit
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Nehmen Sie ein Haar auf Ihrem Kopf fest zwischen zwei Finger und reißen sie es aus. Niemand hat gesagt, Wissenschaft sei eine schmerzfreie Angelegenheit. Haben Sie eine Glatze, müssen Sie ein Haar von jemand anderem nehmen - aber fragen Sie vorher besser!
Die phantastische Reise beginnt mit Haarspalterei. Brian Clegg zeigt sich erstaunt darüber, dass das Haar, ein integraler Bestandteil des Menschen, tot ist. Ebenso wie Finger- und Fußnägel besteht es nicht aus lebenden Zellen. Der Begriff "Nährstoffe", der gerne für Haarpflegemittel verwendet wird, sollte also überdacht werden.
Ein typischer menschlicher Kopf hat ungefähr 100.000 Haare. Blonde haben zumeist ein wenig mehr, rothaarige etwas weniger. Vor knapp 100.000 Jahren verlor der Mensch den letzten Rest seiner ursprünglichen Ganzkörperbehaarung. Warum ausgerechnet am Kopf ein noch dazu stetig wachsender Teil übrig geblieben ist, lässt sich nur vermuten. Ist es ein natürlicher "Schutzhelm" für das Gehirn oder ein simpler Nebeneffekt, weil man nun Kleider trug und der Kopf ein wärmendes Fell am nötigsten hatte?
Auch wenn sie tot sind, bestehen Haare natürlich aus Atomen. Ein Mensch insgesamt aus 7 x 10 hoch 27 Atomen, anders ausgedrückt eine 7 mit 27 Nullen hinten dran. Eine unglaubliche Zahl, aber noch unfassbarer erscheint, dass ein Großteil der Atome, aus denen wir bestehen, älter ist als gedacht und aus Gegenden stammt, die noch nie ein Mensch zuvor gesehen hat.
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Die Leute sind stolz darauf, wenn sie ihren Stammbaum ein paar Generationen zurückverfolgen können. Wenn ihr Landhaus bereits seit 400 Jahren im Familienbesitz ist, halten sie sich für etwas Besonderes. Das Haar jedoch beinhaltet Teile aus dem ganzen Universum; einige seiner Atome reichen bis zum Urknall zurück, und allesamt sind sie locker über fünf Milliarden Jahr alt. Das nenne ich mal einen Stammbaum!
Zahlen und Fakten
Die Reise zur Körpervermessung führt zunächst weiter über die Blutbahn. Hier erfährt man, dass rote Blutkörperchen in der Regel vier Monate lang alle 20 Sekunden durch den Körper schießen, bevor sie ausgetauscht werden. Diese Aufgabe übernehmen Milliarden von weißen Blutkörperchen.
In einer der nächsten Reisestationen, dem Magen, verliert sich Brian Clegg in Details. Neben der ausführlichen Beschreibung der Wirkung der Hydrochloridsäure liefert er in diesem Kapitel etwas weit hergeholte, aber nicht minder interessante Fakten. Zum Beispiel, dass im Vertrag von Versailles festgelegt wurde, dass der deutsche Markenname "Aspirin" in den Unterzeichnerländern beliebig verwendet werden darf. Noch heute werden jährlich 35.000 Tonnen Aspirin konsumiert.
Weiters wird dem Grund für unsere Liebe zu Schokolade nachgegangen: Der Inhaltsstoff Theobromin, der eine ähnliche Wirkung wie Koffein hat, scheint zusammen mit Zucker ziemlich exakt bei der Höhe unserer Mundtemperatur zu schmelzen.
Beine aus Gummi
Außerdem wird das Känguru-Rätsel gelöst. Lange Zeit konnte sich die Wissenschaft nicht erklären, warum die australischen Beuteltiere mehr Energie verbrauchen können, als sie durch die Nahrung aufnehmen. Was die Biologen allerdings lange Zeit übersahen, war, dass die Beine des Kängurus funktionieren wie ein springender Gummiball.
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Die Muskulatur ist so aufgebaut, dass sie beim Aufprall auf den Boden Energie speichert, wie ein Gummiband, das man dehnt. Diese Energie wird wieder freigesetzt und sorgt zumindest teilweise für den nächsten Sprung, sodass wesentlich weniger Energie aus der Nahrungsaufnahme des Kängurus verbraucht wird, um es in Bewegung zu halten.
Brian Cleggs Reise erinnert stark an Bill Brysons Bestseller "Eine kurze Geschichte von fast allem". Clegg schweift ständig vom Thema ab, pickt sich interessante Details aus neuesten Studien und hält so den Leser bei Laune, obwohl dieser den Faden wahrscheinlich längst verloren hat.
Schnittstellen zwischen Mensch und Umwelt
Das gesammelte Zahlenmaterial alleine ist schon verblüffend: Auf einer menschlichen Zunge befinden sich 2.000 bis 6.000 Geschmacksknospen. Hunde können Gerüche erkennen, die über eine Million Mal stärker verdünnt sind als alles, was wir Menschen riechen können. Unser Gehirn ist ca. 1,5 Kilogramm schwer und enthält etwa 100 Milliarden Zellen.
Der Autor erklärt die Sinne als hochsensible Schnittstellen zwischen dem Menschen und seiner Umwelt ebenso plausibel, wie etwa das Phänomen, dass wir mit unseren Augen in die Vergangenheit sehen können. Da das Licht der Sterne bekanntlich eine bestimmte Zeit benötigt, um bis zu uns zu gelangen, sehen wir die strahlenden Himmelskörper, wie sie waren, als das Licht sie verließ, und nicht, wie sie jetzt sind. Als Beispiel dient der ca. vier Millionen Jahre alte Stern Alnilam aus dem Sternbild Orion.
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Im Fall von Alnilam sind etwa 1.340 Jahre vergangen, sein Licht stammt also aus dem siebten Jahrhundert unserer Zeitrechnung. Man gerät ins Grübeln, wenn man darüber nachdenkt, was sich auf der Erde alles verändert hat, während das heute sichtbare Licht von Alnilam zu uns unterwegs war.
Experimente auf der Homepage
Brian Cleggs' Reise durch den Körper ist ein lohnendes Experiment, um nicht nur die Mechanismen der menschlichen Biologie, sondern auch die Zusammenhänge mit Evolution und Universum verstehen zu können.
Zusätzlich zum Schmökern kann man auf der Internetseite http://www.universeinsideyou.com - so der Originaltitel - zehn Experimente durchführen, die vom Gehen auf Vanillesauce ohne Einsinken bis zu diversen optischen Täuschungen reichen. Der nächste Blick in den Spiegel könnte nach der Lektüre jedenfalls zu denken geben.
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Nehmen Sie sich jedes Mal, wenn Sie dieses bemerkenswerte Gebilde sehen, einen Augenblick Zeit und staunen Sie. Damit das, was Sie sehen, funktioniert, bedarf es der gesamten Wissenschaft. Ihr Körper ist ein Fenster zum Universum.
Service
Brian Clegg, "Die Vermessung des Körpers. Warum unsere Haut sehen und die Nase durch die Zeit reisen kann", aus dem Englischen übersetzt von Henning Dedekind, Hanser Verlag
The Universe Inside You
Hanser - Die Vermessung des Körpers