Debütroman von Barbara Aschenwald

Omka

Die österreichische Autorin Barbara Aschenwald, geboren 1982 im Tiroler Städtchen Schwaz, hat im Verlag Hoffmann und Campe einen erstaunlichen Debütroman vorgelegt: "Omka", so der Titel, ist die poetisch-realistische Geschichte einer affektgestörten Frau, die zur Amokläuferin wird.

Poetisch und realistisch zugleich

Das passiert einem als abgebrühtem Rezensenten nicht oft: Man schlägt ein Buch auf und erwartet - vielleicht von der Kritiker-Sünde des Ennuis angekränkelt - etwas zu lesen, das man so oder ähnlich schon hundertfach gelesen hat. Und dann beginnt ein Roman mit zauberischen Worten wie diesen:

Was ist das? Eine romantische Phantasie? Ein Märchen? Ein literarisches Spukbild mit poetischen Zügen? Barbara Aschenwalds Roman "Omka" ist all das zusammen und doch noch vieles mehr. Man kann den Erstlingsroman der 31-jährigen Tirolerin auch als Parabel über bestimmte Erscheinungsformen weiblicher Destruktivität lesen, als realistisches Porträt einer affektiv gestörten Frau, mit teils poetischen, teils realistischen Zügen.

Mit Literatur aufgewachsen

"Es ist insofern realistisch, als 'Omka' in unserer modernen Zeit spielt, in unserer Welt, die aber trotzdem ihren Zauber, ihre Träume und Poesie hat", sagt Barbara Aschenwald, Jahrgang 1982. Sie ist in einer literarisch affizierten Familie aufgewachsen. Ihr Vater Hans Aschenwald, ein renommierter Lyriker, hat die Autorin früh zum Schreiben inspiriert:

"Ich habe einen schreibenden Vater. Ich bin aufgewachsen mit der klappernden Schreibmaschine, dieses Geräusch habe ich heute noch im Ohr, wenn mein Vater sich hinsetzt zum Schreiben. Und ich habe mit zwölf, dreizehn ganz lausige Versuche angestellt, die von meinem Vater hochgelobt wurden, ich bin von meiner ganzen Familie, einschließlich meiner Mutter und meiner Schwester, immer unterstützt worden zu schreiben und weiterzuschreiben." Eine Unterstützung, die reichlich Früchte getragen hat.

Inspiriert von einer wahren Begebenheit

Ausgangspunkt für Barbara Aschenwalds Roman "Omka" ist ein realer Fall: Am Abend des 19. September 2010 erstickt die Rechtsanwältin Sabine R. in der südbadischen Stadt Lörrach zuerst ihren fünfjährigen Sohn mithilfe eines Plastiksackerls, dann tötet sie ihren ehemaligen Lebensgefährten mit zwei Schüssen in Hals und Kopf und stürmt, wild um sich schießend, ein nahegelegenes Krankenhaus, wobei sie einen Pfleger mit Messerstichen und Schüssen zu Tode bringt und 18 Menschen zum Teil schwer verletzt. Bis heute rätseln die Einwohner von Lörrach über die Motive der 41-Jährigen, die im apokalyptischen Finale ihres Amoklaufs von 17 Polizeikugeln durchlöchert starb.

Barbara Aschenwald hat in der Zeitung vom Lörracher Amoklauf gelesen. Die Autorin begann zu recherchieren und ließ sich von den grausigen Ereignissen zu einem in jeder Hinsicht erstaunlichen Buch inspirieren. Im Zentrum des Romans steht eine Frau namens Omka. Der anagrammatische Name ist Programm: aus den Buchstaben O, M, K, A lassen sich sowohl die Wörter "Amok" als auch "Koma" formen. Und in komatösem Zustand wird Omka zu Beginn des Romans am Ufer eines Sees aufgefunden. Ein Schwimmunfall, wie es scheint. Man bringt die unbekannte Frau in ein Krankenhaus und päppelt sie wieder auf. Im Spital lernt Omka einen sensiblen, etwas verloren wirkenden Mann kennen, Josef, Patient, wie sie. Josef fühlt sich von der rätselhaften Schönen angezogen. Die beiden Rekonvaleszenten klammern sich aneinander, Omka zieht zu Josef. Bald gibt es erste Misshelligkeiten- Josef muss feststellen, dass Omka anders ist als andere Frauen...

Überwältigender Wassergeist

Während der Lektüre staunt man immer wieder über das psychologische Zartgefühl, mit dem Barbara Aschenwald ihren Figuren zu Leibe rückt, über die empathische Akkuratesse, mit der sie die Seelen ihrer Protagonisten ausleuchtet. Und man staunt über die Kunstfertigkeit, mit der die 31-Jährige die Geschichte einer psychisch kranken Killerin mit archetypischen Mythen- und Märchenmotiven verknüpft.

"Heute würde man sagen: Omka hat eine psychische Erkrankung", so Aschenwald. "Die hat was Psychopathologisches, sie ist nicht normal. Das Gefühl des ständigen Mangels, sie hat das Gefühl, sie hat keinen Boden unter den Füßen. Es gibt eine Sagengestalt in der slawischen Mythologie, Rusalka - es gibt sie auch in der deutschen Mythologie, da sind's die Undinen, die kommen aus dem Wasser und haben keine Seele. Undinen sind keine Menschen, es sind Wassergeister, die kommen an Land, um sich hier eine Seele zu suchen."

So, wie Omka über Josef kommt und ihn - metaphorisch und buchstäblich - seiner Seele beraubt. "Ich glaube, es gibt mehr Frauen, die Züge von Omka haben, als man landläufig meinen möchte", meint Aschenwald.

Eine Parabel weiblichen Selbstverlustes

Die Erzählerin Barbara Aschenwald schlägt einen leichten, märchenhaften Ton an, ihre Sprache ist poetisch, ohne je ins Manierierte abzugleiten. Die Dialoge sitzen, die sparsam eingesetzten Metaphern lesen sich an jeder Stelle stimmig. Dass Aschenwald vor der Niederschrift ihres Romans intensive Recherchen angestellt hat, spricht für die Professionalität der 31-Jährigen. Formulierfreudigkeit und ein romantischer Geist allein sind eben zu wenig.

"Ich habe mich sehr, sehr beschäftigt mit dem Undine-Mythos, ich habe mich sehr, sehr beschäftigt mit diesem Fall, der den Anstoß gegeben hat, ich habe einen Haufen Bücher über Psychologie und Frauenpsychologie gelesen, um das Handwerkszeug zu haben, diesen Roman zu schreiben", sagt Aschenwald. "Ich halte es für problematisch, wenn eine Autorin, ein Autor über Dinge spricht, von denen er nichts versteht. Man merkt es einem Buch an, wenn dahinter kein Rüstzeug steckt."

Es ist ein echtes Bravourstück, das Barbara Aschenwald mit "Omka" gelungen ist. Die Autorin erzählt mit staunenswerter Kunstfertigkeit eine poetische, psychologisch plausible Geschichte, eine Parabel weiblichen Selbstverlusts, die den Leser mit undinenhafter Unwiderstehlichkeit in ihren Bann zieht. Chapeau!

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Barbara Aschenwald, "Omka", Hoffmann und Campe

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