Lügen auf kubanisch
Daniel Dìaz Torres gehört zu den renommiertesten Filmemachern Kubas, und er ist einer der wenigen, die seit der Wirtschaftskrise in den 1990er Jahren ein ununterbrochenes Filmschaffen aufweisen können.
8. April 2017, 21:58
Das mag vielleicht auch daran liegen, dass er seit seinem Film "Alicia am Ort der Wunder" - der Torres 1991 internationale Aufmerksamkeit bescherte, in Kuba zugleich als konterrevolutionär empfunden und nach einer einzigen Vorstellung verboten wurde – immer wieder internationale Kooperationen eingegangen ist. So auch bei seinem neuen Film: "Lügen auf kubanisch" – im Original "La pelicula de Ana", einer österreichisch-kubanischen Koproduktion, bei der Schauspieler aus dem kommunistischen Inselstaat gemeinsam mit heimischen Akteuren wie Michael Ostrowski vor der Kamera stehen.
Film im Film
Ein österreichisches Filmteam kommt nach Kuba und was ist Thema des Films? Prostitution in Havanna. Ana, eine kubanische Schauspielerin, die sich nur mit kleinen Rollen in Telenovelas über Wasser halten kann, beschließt - gelockt von den hohen Gagen der Ausländer - sich als Prostituierte auszugeben. Und beeindruckt das österreichische Filmteam mit der gesamten Palette an Klischees, die es in Europa über Kuba eben so gibt.
Der Clou der Geschichte: Eigentlich sollte der Film im Film ein Dokumentarfilm werden. Und so entwickelt sich ein spannendes Spiel mit Klischees und dem Kern Wahrheit der diesen innewohnt. Regisseur Daniel Diaz Torres über die Geschichte von Ana:
"Sie sieht sich mit einigen Europäern konfrontiert, die wie viele andere nach Kuba kommen, nur um die dunklen Seiten der Insel zu zeigen. Entweder es geht um Musik oder eben um Kriminalität, politische Probleme oder natürlich um Prostitution. Ana spielt mit diesen Klischees und je mehr sie aber in ihrer Rolle aufgeht, erzählt sie auch wahre Dinge über Kuba und die kubanische Gesellschaft. Das ist die Ironie dieser Geschichte: Wie man durch eine Maske hindurch über das wirkliche Leben sprechen kann."
Leben und Drehen mit Zensur
Durch eine Maske hindurch über das wirkliche Leben sprechen. Das musste auch Daniel Diaz Torres erst lernen, als Filmemacher in einem Land, dessen Filmproduktion – mit dem staatlichen Filminstitut als Dreh- und Angelpunkt - untrennbar mit der Politik verbunden ist. Sein Film "Alicia am Ort der Wunder" etwa war in Kuba lange Zeit verboten.
Die satirische Adaption von Lewis Carrolls Literaturklassiker, umgemünzt auf kubanische Verhältnisse, wurde Anfang der 1990er Jahre als konterrevolutionär eingestuft. Heute sieht Torres das damalige Vorführungsverbot gelassen: "Das war ein sehr komplizierter Moment in der kubanischen Geschichte. 1991, da fielen die sogenannten europäischen kommunistischen Staaten. Kuba war isoliert und inmitten einer furchtbaren Wirtschaftskrise. Die Politik reagierte damals auf alles sehr schnell. Heute ist das anders, die Beziehung zwischen Künstlern und Politikern, zwischen Künstlern und Regierung ist eine andere. Ich glaube die Realität verändert sich, sie verändert sich weiter."
Ob das bedeute, dass er heute frei arbeiten könne, frei vom Druck der Zensurbehörden? Ja sagt Torres, was aber nicht heiße, dass es paradiesische Zustände seien. Es gebe immer wieder Diskussionen, so Torres, aber das gehöre eben dazu. Und um das zu verstehen, müsse man einen Blick in die Geschichte des kubanischen Films werfen, dessen Blütezeit mit der Gründung des kubanischen Filminstituts im Jahr 1959 begann.
Kubanische Filmförderung
"Film ist Kunst" hieß es damals wörtlich im ersten Kulturgesetz nach der Revolution. Das Filminstitut sollte von Beginn an autonom sein, doch zugleich gab Fidel Castro in einer Rede an die Intellektuellen des Landes nur zwei Jahre später die Losung vor: "Dentro de la revolucion todo – contra la revolucion nada." "Innerhalb der Revolution: alles. Gegen die Revolution: nichts." Ob das nicht ein Widerspruch zur festgeschriebenen Autonomie sei? Nein, sagt Daniel Dias Torres:
"Ich glaube, das kubanische Filminstitut hat in seiner Arbeit eine gewisse Freiheit, einen Spielraum, der über die Jahre immer größer geworden ist. Zugleich ist es aber kein unabhängiges Institut, weil es ja Teil des Kulturministeriums ist. Für mich heißt dieser Satz nichts anderes, als dass nichts gegen die Revolution gemacht werden soll. Und Revolution ist in Kuba ein sehr breiter Begriff, der über den rein politischen hinausgeht, und in dessen Rahmen sehr wohl verschiedene Meinungen, Ansichten und künstlerische Stile möglich sind. Da muss man dann natürlich manchmal diskutieren, sich rechtfertigen und argumentieren. Aber zum Beispiel (lacht): 20th Century Fox würde ja auch nicht einen Film finanzieren, der sich gegen 20th Century Fox richtet."
Journalismus und Kunst gemischt
Daniel Dias Torres wurde 1948 in Havanna geboren. Neben seinem Studium der Politikwissenschaft an der Universität Havanna arbeitete er ab 1968 am kubanischen Filminstitut als Regieassistent, Kritiker und Dozent, unterrichtete später Filmkunde an der Universität von Havanna und war von 1975 bis 1981 Leiter der kubanischen Kinowochenschau "El noticiero", eine Zeit, die ihn sowohl in seinen Anfängen als Dokumentarist, wie auch für seine Arbeit im Spielfilmbereich entscheidend geprägt habe, so Torres:
"Ja genau, ich habe dort sechs Jahre gearbeitet. In dieser Zeit habe ich im Prinzip Kino-Journalismus gemacht. Wir haben in Kuba die Tendenz, Journalismus und Kunst zu vermischen, eine künstlerische Sichtweise einzubringen, über die Montage, die Kameraführung – über die Realität zu berichten, aber mit einem künstlerischen Zugang, mehr als bloß Inhalte und Fakten zu vermitteln... In Kuba, arbeiten die besten Filmemacher bei der Wochenschau."
In vielen seinen Filmen, wie auch in "La pelicula de Ana" erzählt Torres immer wieder über den kubanischen Alltag - im Guten wie im Schlechten. Doch zugleich sind seine Filme auch geprägt von einem teils bissigen Humor. Er liebe es, die Menschen zu unterhalten und zwischen den Zeilen dann auch weniger Erfreuliches zu erzählen. Aber das Komödiantische stehe dabei im Vordergrund. Nicht so bei seinem nächsten Film, wie Torres erzählt, der werde wohl eher ein Drama als eine Komödie werden. Und Warum? Es gehe da um den Wandel in der kubanischen Gesellschaft, sagt er:
"Es ist eine sehr komplexe Situation, mit positiven und negativen Entwicklungen im selben Moment. Was ich zum Beispiel nicht vermissen möchte, ist die Solidarität zwischen den Menschen. Und die sehe ich bedroht, wenn sich das Land plötzlich öffnen und einem wilden Kapitalismus hingeben würde. Man muss hier vorsichtig sein. Fakt ist aber: Die Situation muss sich ändern, und meiner Meinung nach auch etwas schneller, als das derzeit passiert. Man muss es irgendwie schaffen, bestimmte Werte der kubanischen Revolution in einen neuen Abschnitt mitzunehmen, ohne dabei die jetzige Realität zu idealisieren. Das ist derzeit eines der großen Probleme: Die staatliche Propaganda idealisiert alles, und zugleich kann man Armut, soziale Ungerechtigkeit, und viele andere Probleme mit den eigenen Augen sehen. Es muss sich etwas ändern, denn: wir sind nur 11 Millionen, und wir sind eine kleiner werdende Gesellschaft. Über die letzten zehn Jahre haben sich die Einwohnerzahlen nie gesteigert."
Einen Blick auf die kubanische Gesellschaft gibt auch schon "La pelicula de Ana" frei, ein Film der berührt, und der wunderbar funktioniert, bis auf jene Momente, in denen die österreichischen und deutschen Schauspieler unter sich sind.
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Austrian Film - Lügen auf kubanisch