Wie Digitalisierung Kunst und Kultur verändert

Eine neue Version ist verfügbar

Nicht alles fließt, aber beinahe. Die Kultur verflüssigt sich dank der Digitalisierung, ist zumindest Dirk von Gehlen überzeugt. Er schreibt aber nicht über die Urheberrechtsproblematik und darüber wie die Digitalisierung die Kulturbranche negativ verändere, sondern er startet selbst ein Projekt dazu.

"Eine neue Version ist verfügbar." Diese Meldung erscheint am Bildschirm zum Beispiel wenn Viren- oder Musikprogramme am Computer oder das Betriebssystem auf dem Smartphone ein Update brauchen. "Eine neue Version ist verfügbar" - so vielversprechend wie der Titel klingt, so beginnt auch das Buch von Dirk von Gehlen. Der deutsche Journalist und Autor schildert die Idee zu seinem Projekt des sozialen Schreibens: Von Gehlen sieht Kultur weniger als Produkt, nicht als robustes Werkstück, sondern als Prozess - die Entstehungsversion spielt für ihn die wichtige Rolle. Für sein Buchprojekt bedeutet das: Von Gehlen hat für seine 350 Leser und Leserinnen ein Forum, einen Salon im Internet eingerichtet, in dem die Leser informiert wurden, immer wenn ein neues Kapitel abgeschlossen oder ein Schreibfortschritt dokumentiert war. Es sei ein Gemeinschaftsgefühl beim Schreiben und Zuschauen entstanden, erzählt von Gehlen:

Die Digitalisierung führe zu dieser Art Klimawandel, die Kultur müsse auf die neuen klimatischen Bedingungen reagieren, meint von Gehlen. Digitale Inhalte verändern, verformen und verflüssigen sich. Kulturpessimisten beruhigt Dirk von Gehlen gleich zu Beginn des Buches.

Literatur im Fluss

Für sein Buch hat Dirk von Gehlen zum Beispiel auch mit den Autoren der sogenannten "Declaration of Liquid Culture" gesprochen, die beschreiben, wie sich Kultur, Literatur und Gesellschaft in einem Prozess der Verflüssigung befinden.

Ein gerne zitiertes Beispiel für den Wert von beweglichem Wissen im Internet ist die Online-Enzyklopädie Wikipedia. Auch der amerikanische Internetphilosoph David Weinberger sieht digitale Medien als Medien des Austauschs.

Die Daten zählen, nicht die Träger

Die Idee, Kultur als Software, als etwas Bewegliches zu sehen, von dem es mehrere Versionen gibt, setze die Einsicht voraus, dass es die Daten sind, auf die es ankommt und nicht auf die Träger, meint von Gehlen. Welche Vorteile es haben kann, einen Entstehungsprozess öffentlich zu machen, versucht von Gehlen am Beispiel des Gesetzestextes zu zeigen. Dabei beruft er sich auf den Internet-Theoretiker Clay Shirky. Shirky argumentiert, warum Gesetze nicht als Ergebnis sondern als Prozess zu verstehen sind.

Schreiben live online

Von Gehlen schildert auch eine Beispiel dafür, wie bewegliche Entstehungsprozesse ablaufen können: Die Autorin Silvia Hartmann beispielsweise hat sich beim Schreiben ihres Romans "The Dragon Lords" von einer ausgewählten Leserschaft im Netz über die Schulter schauen lassen. Sie hat ihr Buch sozusagen live online geschrieben, ihr Dokument war nämlich (als Google-Doc) im Internet für eine kleine Gruppe von Leuten abrufbar. Die Leser konnten dort das Dokument mit Kommentaren und Anregungen ergänzen, erzählt Silvia Hartmann über ihr "Naked Writer"-Projekt:

Von Gehlen unterstreicht seine These der flüssigen Kultur mit Zitaten von Kultur- und Medienwissenschaftlern und Interviews mit Autoren, Projekt-Initiatoren und Journalisten. Von Gehlen wirft viele interessante und zu klärende Fragen auf, verabsäumt es aber, die Leser am Naheliegendsten teilhaben zu lassen, nämlich am eigenen Entstehungsprozess seines Buches. Fragen wie: Welches Feedback hat er von seinen 350 Lesern bekommen? Hat er es umgesetzt? Wie hat es sein Werk beeinflusst? Und was hat er daraus gelernt? bleiben unbeantwortet. Eine neue Version der digitalen Kulturproduktion ist vielleicht bereits als Idee verfügbar, für Publikum und Leser aber noch nicht wirklich abrufbar.

Service

Dirk von Gehlen, "Eine neue Version ist verfügbar. Wie Digitalisierung Kunst und Kultur verändert. Update", Metrolit Verlag

Übersicht