Die Kunst, Übermächtige zu besiegen

David und Goliath

Der Kanadier Malcolm Gladwell ist so etwas wie ein Popstar unter den Sachbuchautoren. Die Bücher des Wissenschaftsjournalisten, wie "Blink. Die Macht des Moments" oder "Überflieger" finden sich regelmäßig auf den Bestseller-Listen. In seinem soeben auf Deutsch erschienenen Buch "David und Goliath" schildert Gladwell, wie sich vermeintliche Schwächen in Stärken verwandeln lassen.

Moderne Kriegsführung

Er gilt als Inbegriff des Underdogs: David, der Hirtenjunge, der mit einer Steinschleuder seinen riesenhaften und bis auf die Zähne bewaffneten Gegner Goliath besiegt. Die alttestamentarische Geschichte um den ungleichen Kampf der Israeliten gegen die scheinbar so übermächtigen Philister ist Ausgangspunkt für Malcolm Gladwells Buch "David und Goliath".

Aber es wäre nicht Gladwell, wenn er der überlieferten Heldengeschichte nicht eine kleine Wendung geben würde: Davids Sieg ist für den Autor keineswegs ein Wunder, sondern eine logische Konsequenz der modernen Kriegsführung. Statt mit schweren Waffen konnte David mit leichter Ausrüstung in den so ungleichen Kampf ziehen. Ein vermeintlicher Nachteil, der geschickt zum Vorteil genutzt wurde.

"David ist aus mehreren Gründen eine spannende Figur", sagt Gladwell. "Erstens weigert er sich, trotz der geringen Gewinnaussichten passiv zu sein. Alle anderen Israeliten geben auf, weil sie angesichts der Übermacht keinerlei Chancen für sich sehen. David gibt nicht auf. Und zweitens ist er nicht daran interessiert, nach den bis dahin geltenden Regeln zu spielen. Konflikte wurden in der Antike traditionell mittels Zweikampf gelöst, das war Hunderte Jahre so. Mit dieser Konvention zu brechen und mit einer Schleuder zu einem Schwertkampf zu kommen, war unglaublich widerlich. Etwa so wie heute der Einsatz von chemischen Waffen."

Gut oder schlecht?

David, ein Regelbrecher, der mit gezinkten Karten spielte! Goliath, ein ungeschickter Riese, der in seiner schweren Rüstung der modernen Waffentechnik nichts entgegensetzten konnte. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass David in der Geschichte mehr als einmal den Sieg davon getragen hat. Und nicht immer vertritt er, der Außenseiter, das Gute - und Goliath, sein Gegenspieler, das Schlechte, sagt Malcolm Gladwell:

"Diese Außenseiter-Strategien können für gute und böse Zwecke eingesetzt werden. Es sind nur Strategien. Spielt Al Kaida die Außenseiter-Karte gegen die USA? Absolut. 9/11 ist wie ein Pendant zu Davids Schleuder im Schwertkampf. Da wurde ein Flugzeug gekapert, um mit der Technologie des Gegenübers einen Vernichtungsschlag auszuführen."

Der Vorteil als Nachteil

Aber Malcolm Gladwell geht es nicht etwa um Fragen der Moral. Er versteht sein Buch als Aufruf zum Perspektivenwechsel. Denn vieles, was sich auf den ersten Blick als Vorteil präsentiert, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als das exakte Gegenteil.

Um diese Aussage zu beweisen, schaut sich Malcolm Gladwell etwa Statistiken zum Studienerfolg an amerikanischen Universitäten an und kommt zum Schluss, dass die in den USA so hoch geschätzten Elite-Unis ihren Studenten oft einen Bärendienst erweisen. Wer sich in einer sogenannten Ivy-League-Universität im unteren Drittel befindet, ist eher geneigt, das Studium ganz hinzuschmeißen. Man vergleicht sich eben immer mit den anderen! Dabei wäre derselbe Student an Durchschnittsuniversitäten noch immer Spitze. Oft sei es also besser, ein großer Fisch im kleinen Teich zu sein als ein kleiner Fisch im großen, meint der Autor.

So ein kleiner Fisch ist auch das Mädchen-Basketball-Team aus dem kalifornischen Redwood City, das es innerhalb kürzester Zeit fast bis an die Spitze schaffte. Und das, obwohl sein Coach kaum über praktische Erfahrung verfügte. Das Team gewann, weil es die Basketball-Regeln recht eigenwillig interpretierte und seine Gegner damit - zumindest eine Zeit lang - überraschen konnte.

"In dieser Geschichte geht es um etwa Grundsätzliches", meint Gladwell. "Wie sollte man sich verhalten, wenn man gegen einen viel versierteren Gegner antreten muss? Es gibt keinen Grund, aufzugeben. Du hast noch immer Strategien zur Hand, du kannst härter arbeiten, du kannst die Regeln, die Konventionen, missachten. Du wirst nicht alles gewinnen. Aber du kommst sicher weiter als sonst. Das Wesentliche ist die Einstellung: Gib nicht zu früh auf." Ein Sieg Davids gegen Goliath.

Unflexible Konzerne

Auch im Wirtschaftsleben ist Größe nicht alles. Wenn es etwa um Innovationen geht, so kann Größe auch zum Hemmschuh werden. Ein Wirtschaftskoloss ist eben wie ein riesiger Dampfer nur schwer auf neuen Kurs zu bringen. Wer klein und wendig bleibt, kann auch schnell auf die Überholspur wechseln. Im Internet-Zeitalter könne man dies sehr gut beobachten, sagt Gladwell. Wendige kleine Firmen standen auch am Beginn der Computerrevolution.

Die Geschichte ließe sich fortsetzten, denn die wendigen Regelbrecher von einst sind in der Zwischenzeit meist selbst zu unflexiblen Goliaths herangewachsen. Stichwort Apple oder Microsoft.

Legasthenie als Karriereturbo

Ein Kapitel des Buches ist einer vermeintlichen Schwäche gewidmet, die viele schon in der Schule zu Außenseitern macht: die Legasthenie. Dass selbst eine Lese- und Rechtschreibschwäche zum Vorteil umgemünzt werden kann, zeigt der Autor an zahlreichen Beispielen höchst erfolgreicher Legastheniker - darunter der Ikea-Gründer Ingvar Kamprad, der britische Unternehmer Richard Branson oder David Boies, einer der berühmtesten Anwälte der USA.

"Was ihn als Anwalt hervorhebt ist seine Fähigkeit, vor Gericht auf die kleinsten Details zu achten und darauf zu reagieren", so Gladwell. "Eine Kunst, die er seit seinem 5. Lebensjahr praktiziert hat. Solche Geschichten habe ich auch im Gespräch mit erfolgreichen Geschäftsleuten immer wieder gehört. Wir interpretieren das dann meist so, dass diese Menschen trotz der Behinderung erfolgreich sind. Wenn Sie mit diesen Menschen sprechen, sagen sie, dass sie wegen ihrer Legasthenie erfolgreich sind, dass der Umstand, nur mühsam lesen zu können, sie gezwungen hat, andere Fähigkeiten zu entwickeln, die im Endeffekt äußerst vorteilhaft waren."

Oft sind es eben die Schwächen, die erst das Beste aus uns herausholen. Auch wenn einige der im Buch gezogenen Schlussfolgerungen nicht wirklich schlüssig sind, Malcolm Gladwell ist ein fesselnder Erzähler, sein Buch "David und Goliath" allein schon deshalb eine anregende Lektüre.

Service

Malcolm Gladwell, "David und Goliath. Die Kunst, Übermächtige zu besiegen", ins Deutsche übersetzt von Jürgen Neubauer, Campus Verlag