Suchen, Wiederfinden und Entdecken

Klasse(n)treffen

Hingehen oder nicht hingehen? Das ist oft die Frage, wenn wieder einmal eine Zu- oder Absage zum nächsten Klassentreffen verlangt wird. Egal ob nach 20, 30 oder 40 Jahren: Was macht die Begegnung mit ehemaligen Mitschülern so faszinierend? Warum will man sich lieber davor drücken? Die deutsche Sozial- und Erziehungswissenschaftlerin Sabine Maschke hat das scheinbar banale Thema als ideales Betätigungsfeld für biografische Forschung entdeckt.

So eine Zeitreise muss wohl überlegt sein, denn es gibt noch viel mehr Gründe, die gegen diese Art der Wiederbegegnung sprechen. Nehmen wir einmal an, man erinnert sich an die Schulzeit nicht gerade mit wohlig-warmen Gefühlen im Bauch. Drangsalierende Lehrer, verhasste Mitschüler und ein Klima voller Missgunst und Zwang. Wer will sich freiwillig noch einmal mit den Zeugen oder sogar Hauptdarstellern dieses düsteren Lebensabschnittes auseinandersetzen? Sabine Maschke möchte mit ihrem Buch mögliche Zweifel ausräumen und dazu animieren auf jeden Fall hinzugehen. Warum eigentlich?

Die eigene und andere Biografien

Eines ist sicher: Dank Internetanbietern wie "stayfriends" war es noch nie so leicht, ehemalige Schulabschnittspartner wieder zu finden. In Nordamerika sind Klassentreffen selbstverständlicher Teil einer kommerzialisierten und professionell betreuten "Reunion-Kultur". Hunderte amerikanische Firmen bieten ihre Dienste zur perfekten Planung und Organisation solcher Reunions an. Im deutschsprachigen Raum wird zumeist noch selbst organisiert. Sabine Maschke gibt kapitelweise Tipps, wie man das am besten tut und welche Fragen dabei auftauchen könnten. Im wesentlichen Teil des Buches beschäftigt sich die Biografie-Forscherin dann aber mit der Kernfrage, warum wir "unsere Biografie auf den neuesten Stand" bringen sollen.

Natürlich kann ein Klassentreffen Anlass sein, den eigenen Lebensweg mit jenem anderer zu vergleichen, die einen ähnlichen Ausgangspunkt gehabt haben. Aber ergeben sich diese Gelegenheiten zu Einblicken in andere Biografien nicht ohnehin ständig durch Bücher, Filme oder Radiofeatures und natürlich durch mehr oder weniger ausführliche Begegnungen im realen Leben? Nur weil man gemeinsam ein paar Jahre in denselben Räumen denselben Stoff lernen musste, heißt das ja noch lange nicht, dass man die gleichen Bedingungen für den Start ins sogenannte Erwachsensein hatte.

Pro und Contra

Einen besonders lebensnahen Eindruck geben die zahlreichen Interviews, die Sabine Maschke mit Menschen geführt hat, die Klassentreffen besucht haben. Während sich die einen freuen, "Vergessenes wieder auffrischen" zu können, nutzen andere die Gelegenheit, sich selbst als andere Person als damals präsentieren zu können. Es findet sich aber auch ein Ex-Schüler, der aus Angst, dass eine bestimmte Lehrerin ebenfalls erscheinen könnte, gar nicht auftaucht oder solche, die sogar extra umgezogen sind, um sämtliche Spuren aus der Vergangenheit zu tilgen. Eine Ex-Schülerin wird mit folgendem Chat-Eintrag zitiert: "Ich bin einfach froh, dass die Zeit vorbei ist und mag sie nicht zurückholen. Das Recht hat man ja als Erwachsener zum Glück."

Ein guter Grund zum Klassentreffen zu gehen, könnte die Begegnung mit einer verflossenen Liebschaft oder auch mit einem stets heimlich ersehnten Objekt der Begierde sein. Die Hoffnung auf die zweite Chance. Hollywood lässt grüßen. Vor allzu großen Erwartungen rät die Autorin ab. Plötzliche Auffrischungsversuche und späte Geständnisse haben in diesem Rahmen schon zu oft zu großen Enttäuschungen geführt. Auch alte Feindschaften müssen nicht unbedingt gepflegt werden. Hier wird empfohlen, sie möglichst zu ignorieren.

Bühne der Eitelkeiten

Klassentreffen eignen sich natürlich auch hervorragend als Bühne der Eitelkeiten. Die Rolex, der Porsche und sogar die Trophy Wife werden ungeniert präsentiert, die Vita radikal frisiert. Sabine Maschkes Tipp zu diesem Thema:

Das Klassentreffen als Lebenshilfe klingt - das gibt auch die Autorin zu - im ersten Moment "ein wenig überzogen". Natürlich sind vor allem Familien, Freunde und vielleicht sogar Arbeitskollegen als Austausch- und Vergleichspersonen relevanter. Dennoch sieht sie in dieser Veranstaltung eine gute Gelegenheit, Bilanz zu ziehen, Entscheidungen zu hinterfragen und Lebenswege zu vergleichen.

Das Treffen mit den ehemaligen Mitgliedern einer unfreiwilligen Gemeinschaft kann schließlich auch versöhnlich sein. Sowohl mit Mitschülern, die ihren Schrecken gänzlich verloren haben, als auch mit Lehrern, denen man jetzt erstmals auf Augenhöhe begegnen kann. So wie bei Tobi und seinem ehemaligen Lieblingslehrer.

Service

Sabine Maschke, "Klasse(n)treffen. Vom Suchen, Wiederfinden und Entdeckenden", Scoventa Verlag