Vernachlässigt in Stein: Missstand im Maßnahmen-Vollzug

Eine Katastrophe, ein Versagen - so kommentieren Justiz-Insider bis hinauf zum Justizminister einen Fall von massiver Vernachlässigung in der Haftanstalt Stein. Experten fordern, jetzt müsse ernsthaft eine Reform des Maßnahmenvollzugs für sogenannte geistig abnorme (psychisch kranke) Rechtsbrecher angegangen werden. Denn womöglich gehören solche Häftlinge gar nicht ins Gefängnis.

Justitzanstalt Stein

(c) APA/Gerald Lechner

Morgenjournal, 21.5.2014

"Indirektes Versagen des Staates"

Verwesungsgeruch war es, der Justizwachebeamte auf die Situation des 74-jährigen Häftlings in Stein aufmerksam hat werden lassen, berichtet der "Falter". Davor waren seine einbandagierten, verkrusteten, geradezu fauligen Beine mit greifvogelartig ausgewachsenen Zehennägeln monatelang nicht aufgefallen oder jedenfalls nicht behandelt worden. Der Psychiater Patrick Frottier, früher ärztlicher Gefängnisleiter in der Justizanstalt Mittersteig, sagt über den Fall: "Hier hat offensichtlich jede Kontrollinstanz versagt. Indirekt ist es ein Versagen des Staates."

Für Frottier ist der Fall auch symptomatisch für Probleme im sogenannten Maßnahmenvollzug. Psychisch kranke - sogenannte geistig abnorme - Rechtsbrecher sitzen da oft lebenslang in Haft, auch wenn ihre eigentliche Strafe nur wenige Monate oder Jahre betragen hätte. Und zwar weil sie nach wie vor als gefährlich gelten oder weil jedenfalls kein Gutachter das Risiko eingeht, sie nicht mehr als gefährlich zu bezeichnen. Frottier aber sagt über den 74-Jährigen: "Da ich sein Delikt nicht kenne, kann ich das jetzt nicht direkt beurteilen. Aber es ist für mich schwer vorstellbar, dass jemand mit solchen Füßen eine Gefahr für andere darstellt." Und weiter: "So wie ich die Füße sehe, frage ich mich, gehört der nicht in ein Krankenhaus in eine Behandlung und in dem Alter, was glauben wir, was der anderen antun kann."

Reform geplant?

Der 74-Jährige, der übrigens wegen eines Mordversuchs vor vielen Jahren in Haft ist, ist laut Frottier jedenfalls kein Einzelfall: "Wir haben so viele Menschen in der Maßnahme in Österreich, das ist ja explodiert in den letzten zehn Jahren, und auch Leute drinnen, die offensichtlich wenn sie so alt und so krank sind, sicher nicht hineingehören."

Der ehemalige leitende Gefängnis-Psychiater Frottier glaubt sogar, die Zahl von 900 Häftlingen im Maßnahmenvollzug könnte auf die Hälfte reduziert werden - durch genauere Gutachten und durch die Unterbringung in Pflegeeinrichtungen. Doch alle Reformbemühungen sind bisher gescheitert: "Einerseits am politischen Willen, es wirklich zu verändern, das ist ein schwieriges Gebiet, wo auch populistische Überlegungen eine Rolle spielen." Im aktuellen Regierungsprogramm ist eine Reform geplant. In zwei Jahren könnte sie stehen, hat es zuletzt aus dem Justizministerium geheißen.