Vranitzky: Juncker-Streit "ganz schlimm"

Die Politiker müssten die EU als ihr gemeinsames Projekt begreifen und wieder aktive Europapolitik betreiben, mahnt Altbundeskanzler Franz Vranitzky anlässlich der Volksabstimmung Österreichs für den EU-Beitritt vor 20 Jahren. Die aktuelle Debatte über den EU-Kommissionspräsidenten sei "ganz schlimm" für das Image der EU.

Mittagsjournal, 12.6.2014

Ex-Bundeskanzler Franz Vranitzky im Gespräch mit Monika Feldner-Zimmermann

Kritik an aktuellen Politikern

Vor 20 Jahren hat sich Österreich klar für einen Beitritt zur Europäischen Union entschieden: In der Volksabstimmung am 12. Juni 1994 stimmten zwei Drittel der Österreicherinnen und Österreicher, genau 66,6 Prozent, dafür. Mittlerweile ist Ernüchterung eingekehrt: Laut Eurobarometer sagen gerade noch 48 Prozent, dass die EU-Mitgliedschaft Österreichs wichtig ist. Der damalige SPÖ-Bundeskanzler Franz Vranitzky meint dazu im Ö1-Interview: "Die Herzschlagintensität bei Jungvermählten hält auch nicht bis zur Silbernen Hochzeit an." Darüber hinaus führt er die abnehmende Zustimmung auf den Widerstand der Menschen gegen Neues und Reformen zurück. Dazu komme aber auch, "dass seit 2000 kaum mehr aktive, offensive Europapolitik betrieben wurde". Im Gegenteil, kritisiert der Altkanzler: "Viele Politiker, auch ganz oben an der Spitze, haben die Sache treiben und laufen lassen, und ein Großteil der Politiker hat sich bei Erfolgen auf die eigene Schulter geklopft, und wenn etwas Neues auf der Tagesordnung stand, haben sie es auf 'diese wahnsinnigen Beamten in Brüssel' geschoben." Politiker müssten erkennen, dass die Europäische Integration "unser gemeinsames Projekt" sei.

Gegen "blutleere" Sparprogramme

Dass die Politik damals den Menschen zu viel versprochen habe, weist Vranitzky zurück. Der "Ederer-Tausender", also die Versprechung der damaligen Europa-Staatssekretärin Brigitte Ederer (SPÖ), die Menschen würden um tausend Schilling mehr zum Ausgeben haben, sei längst erfüllt. Und ohne EU-Beitritt stünde Österreich jetzt im Abseits und weg von einem Modell, in dem die Völker zusammen statt gegeneinander arbeiten.

Die größte "Baustelle" sieht Vranitzky bei den 27 Millionen Arbeitslosen in Europa. Bewältigen könne man dieses Problem, in dem man aufhöre, "straffe, blutleere Sparprogramme zu verhängen", bei denen die Menschen auch noch dazu den Glauben an ihren eigenen Staat und das europäische System verlieren.

Jucker-Debatte "tut nicht gut"

Diskussionen wie jene um den neuen EU-Kommissionspräsidenten seien "ganz schlimm" für das Image der EU. Seit Jacques Delors habe es keinen einzigen überzeugenden Kommissionspräsidenten mehr gegeben. Und was sich jetzt abspiele, sei eine Neuauflage dessen, "dass sich Regierungschefs gegen jemanden wie Jean-Claude Juncker sträuben, weil jeder weiß, der hat das EU-Geschehen im kleinen Finger". Diese Diskussion "tut dem europäischen Integrationsprojekt nicht gut."

Wird das Projekt EU-scheitern? Vranitzky geht davon aus, dass es die EU in 20 Jahren noch geben wird. "Denn das realistische Urteilsvermögen der Menschen führt uns nicht weg von diesem Projekt, das in unser aller Interesse gegründet wurde."

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